Die Ruhelosen
Sittengerichte (Presbyterialgerichte, Konve nt e) bestanden bis zur Französischen Revolution (vgl. Sendgericht), auch weltliche, besonders die Sitten- und die Ehrengerichte der Zünfte und der Ritterschaften (s. auch Ehrengerichte). – Überdiejetztgrundsätzlich (vgl. aber Schmutz- und Schundgesetz bei Jugendschriften) abgeschaffte Bücherzensur s. Presse (Sp. 1239), über Theaterzensur s. d., über Filmzensur s. Filmindustrie (Sp. 723). Über kirchliche Bücherzensur s. Index librorum prohibitorum.
Das war’s. Damit war’s um ihn geschehen. Die Kohle im Ofen war schon lange verglüht, es war kalt und auch ein bisschen zugig geworden und sehr, sehr finster, aber im warmen Glühschein einer Lampe unter zotteligem Schirm las Nunzio mit steifem Hals und angestrengten Augen konzentriert Eintrag um Eintrag nach, schob Bücher von hier nach da, legte eines zurück und griff sich ein neues, und kam dieser Nacht beinahe abhanden.
Erst sehr viel später schlüpfte er eisklamm zu den Geschwistern Bluntschli und drängelte sich an sie ins vorgewärmte Bett.
die Attacke
Basel, 1946 –1950
»Das Gute und das Schlechte liegen eben oft dicht beieinander«, sagte sie beschwichtigend, »er ist vielleicht ein überheblicher Dirigent, ein Schurke, ein Salaud im Umgang mit seinem Orchester, aber vergiss nicht, Abel, wir haben sonst nichts. Du kannst dir mit ihm ein Zerwürfnis schlicht nicht leisten.«
Natürlich hatte sie recht, seine Mondaine, aber dennoch widerstrebte es Abel Ditrich zutiefst, den Buckligen zu geben, nur damit ein selbstverliebter Krösus an seinem Lack keinen Schaden nahm. Was konnte er denn dafür, dass er so viele Briefe von Bewunderern erhielt und dieser Pomadenhengst, dieser Fils à Papa mit Dirigentenstab nicht einen einzigen? War es sein Problem, dass sämtliche Zuhörerzuschriften an Abel Ditrich, Radio Beromünster, adressiert waren? Es war ein offenes Geheimnis, dass dieser Dirigent von seinem eigenen Orchester nicht über alle Maßen geschätzt wurde. Indes, die meisten schwiegen darüber. Mochte die Gage als Berufsmusiker beim staatlichen Radioorchester auch noch so gering sein, darauf verzichten konnte keiner. Und so waren sie aneinander gebunden, die zwölf mager meuternden Musiker und ein österreichischer Arztsohn, der einzig auf Befehl seines Vaters die Ausbildung am Konservatorium Zürich absolviert hatte.
»Verhinderter Chirurg …«
»Wie der die Musik zerschnetzelt …«
»Wir sind doch nicht seine Kadaversammelstelle!«
So und ähnlich giftelten doch manche Mitglieder des Von-Felsberg-Orchesters.Neuerdings sogar Abel, wenn auch nur in die Wirrnis seines Schnauzhaars hinein. Abel konnte es einfach nicht verstehen, wie die Eifersucht, dieser Stachel des Neids, in ihre – was? Freundschaft? – hatte gelangen können. Sie hatten doch zusammen Schallplatten aufgenommen, Durchbrüche gefeiert, Rudi von Felsberg, Dirigent und Komponist, und er, Abel, ehemaliges Wunderkind, der alle Kadenzen bereits als Fünfjähriger beherrschte, der auf seiner Guadagnini aus dritter Hand Walzer, Mazurkas, »Hudigäggeler«, also Schweizer Ländlermusik, ebenso auswendig spielte wie Klassiker oder amerikanischen Jazz! Sie waren doch einmal ein Team gewesen, wie man in Amerika sagte!
Kein Anlass, den der Dirigent ausließ, um ihm zu bedeuten, dass Abel ein Geringerer war. Keine Szene, die Abel ihm nicht machte, um es ihm irgendwie wieder heimzuzahlen.
Sie komponierten gegeneinander an, und als es sich herumgesprochen hatte, dass Abel neben der Stelle als Konzertmeister bei Radio Beromünster ab und an auf privaten Galas spielte, auf Hochzeiten oder bei einer Restauranteröffnung den Prímás gab, ließ der Dirigent eine verbale Katzenmusik durch die Reihen seines Orchesters tönen, dass Abel sich am liebsten beide Ohren mit Ohropax zugestopft hätte.
Abel war nicht fürs Diskutieren gemacht, fürs lange Reden war Mondaine zuständig. Und wenn der österreichische Dirigent erst einmal zu einer Verbalattacke ausholte, traf die auf Abels Trommelfell wie ein unerwarteter Paukenschlag oder, je nach Fall, wie eine Kanonade.
Abel versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Wies die Violinisten an, im Gleichklang und mit absoluter Symmetrie zu seinen eigenen Bewegungen den Bogen auf- oder abzustreichen, bedeutete ihnen mit dem kleinen Finger, einer erhobenen Augenbraue, dem kurzen, effektvollenAufleuchten seines perlmuttenen Froschs am Geigenbogen, welche Tempi gefragt waren, und bemühte sich,
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