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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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kurzgewachsenen stumpengroßen Kinder, die wie kleine Erwachsene, Männchen und Dämchen gleich, durch die Straßen und Gassen von Triest und Fiume getrieben wurden von ihren ehrgeizigen Eltern, die ihnen Klaviere, Flügel, nützliche Ausstattung und überflüssigen Tand kauften, er dachte daran, wie lächerlich diese kleinen Gestalten aussahen in ihrer Ausstaffiertheit, wie lächerlich, wie beschämend und lächerlich, grad so wie sein eigener Vater. Und es war eines der seltenen Male, dass sich Elia Primo seinerseits der Aufrichtigkeit hingab, und er fragte Abelarda erschrocken: »Hast du keine Angst? Unsere Kinder könnten entweder viel zu groß oder viel zu klein werden.«
    »Elia Primo. Ich habe deine Mutter nicht gekannt. Ich weiß also nicht, ob sie wirklich so giraffengroß war, wie du gerne zu erzählen pflegst. Kein Bild von ihr hast du mir je gezeigt. Und dein Vater, na ja, er ist ein bisschen kurz geraten, damit magst du recht haben, aber schau doch dich an, du bist groß und stark und …« Ihre Hand umschloss schon wieder sein Glied, drückte es rhythmisch und gekonnt, und gar nicht lang, und es pochte bereits, und mit der zweiten Hand verschloss sie ihm grad ebenso gewaltsam und gekonnt den Mund und platzierte sich rittlings auf seinem Körper, brachte ihn in Bedrängnis und bemächtigte sich seiner, wie ein Feind sich dem anderen Feind überwarf, wenn er seinen Vorteil für sich erkannte, die Gelegenheit günstig war und er die Chancen bei ihrem Schopfe zu packen verstand.
    Die erneute Besamung, die Empfängnis, die Wochen und Monate der Schwangerschaft, schließlich das Kind – all daswar beschlossene Sache, jeder Widerstand wäre zwecklos, sinnlose Spiegelfechterei nur, ob sie sich nun handelseinig waren oder nicht. Abelardas Begehren duldete keinen Aufschub mehr.

böse Wunderwelten
    Ödenburg, 1893
    Feri saß auf dem obersten Treppenabsatz und schob mit seinen Fingern den Schnee die schräg verlaufenden Wasserrinnen entlang. Seine roten Lederhandschuhe waren schon ganz durchnässt, er hatte sie ausgezogen und irgendwo hinter sich ins überpuderte Gebüsch geworfen. Seine Omami war vor einiger Zeit durch diese Tür gegangen und hatte ihm bedeutet, kurz draußen auf sie zu warten, sie hätte eine Überraschung für ihn. Aber die Überraschung kam nicht, und auch Omami ließ sich Zeit, also baute sich der kleine Junge, in sich vertieft, eine Welt aus Schnee. Oder viel eher: Er zerstörte sie. Selbstvergessen, ein kleiner Speichelfaden hing ihm aus dem Mund, der zusammen mit den Tönen, die er machte, in der Luft vibrierte, ließ er Schlösser, Häuser, Gehöfte unter den Schneemengen einstürzen, ließ die Menschen rennen, Frauen mit Händen und Haaren flatternd in der Luft, Männer mit Schießgewehren – wozu und gegen wen hätte Feri nicht zu sagen vermocht –, alle rannten sie und entkamen der niederwallenden Schneelawine doch nicht. In seinem Köpfchen spielte eine hartnäckige Musik, monotone Klänge, die sich einer nach dem anderen wiederholten ohne Änderung, Ausbruch, Variation, und mit seinen eigenen dünnen Stimmbändern verfolgte er diese Noten, die die inszenierte Heimsuchung instrumentierten.
    Seit Tagen hatte es geschneit, so viel, dass es in der Geschichte Ödenburgs als beispiellos galt, die Luft stand still, und alle Geräusche waren dumpf. Wenn man nicht gesehen,sondern nur gehört hätte, man hätte glatt denken mögen, Ödenburg wäre eine ausgestorbene Stadt. Wer nicht vor die Haustüre musste, ließ es nur zu gerne bleiben. Und auch die Vögel, der Mäusebussard, die Kohlmeise, die Blaumeise und die Sumpfmeise, das Rotkehlchen, der Fasan, die Amsel, der Habicht und der Blauspecht, selbst der Spatz, all die Vögel, die sonst so gerne im milden Ödenburg überwinterten, zupften sich das Gefieder in Reumut über ihre Nachlässigkeit – wären sie doch nur mit den anderen fortgeflogen!
    Feri störte sich ob der Kälte nicht. Nicht, wenn er wusste, dass er den Rest des Tages bei seiner Omami, dieser großen Frau mit ihrem rollenden Lachen bleiben konnte. Bei seiner Omami war es mollig weich und warm, und wenn er sich an sie drückte, war es gerade so, als schwinge da im Innern ihrer Brust eine voluminöse Glocke. Und wie bei der massigen Pendule, die im Hausflur neben dem Eingang zum Barbiergeschäft seines Opapis stand, musste er sich keine Gedanken darüber machen, dass diese Glocke bis in die Unendlichkeit schwingen würde, ihr Takt war unfehlbar und vom ersten Augenblick an

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