Die Ruhelosen
in seinem Leben immer gegenwärtig, und Feri war es, als sei er durch genau diese innere Schwingung mit seiner Großmutter unsterblich verbunden. Wenn er seinen Kopf an ihre Brust geschmiegt hielt, konnte er ihr Uhrwerk sogar ticken hören. Die Klangfarbe war ihm ebenso in Fleisch und Blut übergegangen wie ihr Duft. Ein dumpfer, schwerer Geruch, der noch lange präsent blieb, wenn seine Omami einen Raum verlassen hatte, ihr Duft blieb in der Luft hängen, für Feri zum Greifen nah wie Stofffetzen. Auch jetzt konnte er sie riechen und glaubte, die Duftbanner über ihm, wo sie mit ihren Röcken und Stoffen entlanggeraschelt war, zu sehen. Und solange das so war, war seine kleine Welt in Ordnung, einerlei, wie viele Lawinen noch über die Treppenstufenpolterten, einerlei, ob seine feinen rotledrigen Handschuhe bald vollständig mit Schnee überdeckt wären, Omamis Duft und ihr schwingender Glockenklang waren ihm Tarnkappe und Schutzschild zugleich. Solange er seine Omami hatte, war er geborgen.
Irgendwo tief in ihm drin lauerte eine gefühlte Erinnerung, eine Empfindung, die den kleinen Ferenc in blanke Hysterie versetzen konnte. Vor ihr fürchtete er sich wie vor nichts sonst, sie galt es auszulöschen mit aller Macht. Und das mächtigste Zaubermittel gegen diese zitternde Furcht hieß: Omami Alžbeta.
»Da bin ich wieder! Oh, Feri-Schatz, wo hast du denn deine Handschuhe gelassen?« Schnell wischte diese große sichere Frau den Schnee weg, pustete über das Leder und machte damit alles wieder heil. Willig ließ Feri seine Finger in die Fellwärme schlüpfen, sein Oberkörper wackelte, als Alžbeta die Handschuhe am Handgelenk mit einem Ruck nach hinten zog, lachend rief, »Drin!«, und dem Kind einen Nasenstubser mit der eigenen Nase gab. Ihre quirligen Augen so nahe an seinem Gesicht, die kleinen Nasenflügel bebten vor Entzücken.
»Du hast dich ja schmutzig gemacht, Feri!« Schon spürte er ihr taubenblaues Spitzentaschentuch, wie es ihm über Mund und Wange streifte. »So, fertig, junger Mann. Gehen wir nach Hause.«
Alžbeta nahm keine Rücksicht auf seine Schritte, und er trabte mit offenem Mund neben ihr her und hatte in seiner Willigkeit etwas von den stolzen Kladruberpferden, die Alžbeta und František einst hierher gebracht hatten. Ihre Winterrobe rauschte vertraut an seinem Ohr, als sie den aufwendig in Falten gelegten Keilrock mit einer Hand hochraffte. Am anderen Arm hing über dem eleganten Mantelet aus Pelz und Wollstoff ein Päckchen mit Samtschleife. Sicherlich für ihn bestimmt. Höchstwahrscheinlichfür ihn. Und er machte bei seinem Versuch, den Anschluss nicht zu verpassen, große Augen.
Wenn für Ferenc Dušan diese üppige Liebe seiner Eltern auch eine Belastung gewesen war, für den Enkel Feri war sie nichts als Geschenk. Alles das, was ihm gut und lieb im Leben war, verknüpfte er mit ebendieser Liebe. Er kannte die Blicke, die sich das alte Ehepaar jedes Mal zuwarf, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Er konnte sie zwar nicht deuten, hätte sie noch nicht in Worte zu fassen gewusst, spürte aber, dass sie auch etwas mit ihm, seiner Existenz auf Erden zu tun hatten, und wickelte sich gerne in diese Empfindung ein.
Das Haus an der Müller-Paulin-Straße war für Feri ein zweites Zuhause geworden. Noch bevor seine Omami an der Türe angelangt war, sprang er im Zickzack über die zusammengekehrten Schneehaufen und zog an der Klinke. Das von rotem Sandstein eingefasste Holztor knarzte, und einmal mehr hob Feri den Blick ganz nach oben und starrte zu den neun Eisenpfeilen, die im Torkranz zusammenliefen, so, als steckten in der Sonne federbesetzte Wurfspeere. Diese Pfeile zeugten von der Wehrhaftigkeit seiner Großeltern, dessen war er sich gewiss, auch wenn sie im Vergleich zum Hause selbst eher einer Bastelei glichen, waren sie doch eine Parade des Widerstands. Bei keinem anderen Ödenburger Haus hatte er je ein solches Zeugnis der Kriegsbereitschaft gesehen. Obwohl es nur wenige Gassen weiter ein Haus gab, das ihm ganz besonders gefiel, fast ebenso gut wie das Haus seiner Großeltern. Jenes Haus, das sich sonst durch nichts von den vielen anderen typisch ein- und zweistöckigen Häusern hier unterschied, hatte auf dem Gesimse einer Fenstereinfassung einen weißen Schakal sitzen. Ein Relief, das sich nüchtern und stolz abhob und wachsam der Sonne entgegenschaute. Die langen schlanken Ohren des Schakals waren spitz aufgestellt, der Schweif fiel in einemlockeren Puschel den Sims hinab und
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