Die Ruhelosen
Feri die Ecken des blauen Packpapiers auseinander und enthüllte so zwei kleine quadratische Schachteln. Sorgfältig stellte er sie vor sich auf den Boden, die Klappe nach oben. Alžbeta kannte diese Angewohnheit ihres Enkels. Es war, als wäre er immer vor etwas auf der Hut, deshalb auch seine Faszination für alles, was wehrhaft war, er brauchte diesen Schutz vor der äußeren Welt, auf dass seine innere nicht in sich zusammenfiele. »Nur zu, du kannst sie ruhig aufmachen.«
Feri legte beide Hände auf die Klappen der Pappschachteln und zog die Laschen gleichzeitig aus den Schlitzen. Nun waren die Schachteln offen, aber was er sah, gab ihmnoch keinen Aufschluss. Dünnes Seidenpapier versperrte ihm den Blick auf das, was seine neuen Besitztümer sein sollten. In einer letzten kindlich dramatischen Überwindung zog er das Papier heraus und schaute auf zwei Kuppeln aus Glas.
»Schneekugeln, Feri. Nimm sie heraus. Aber sei vorsichtig damit!«
Alžbeta half dem Kind, die beiden Kugeln aus der Verpackung zu befreien, und stellte sie auf den Tisch. Feri war langsam aufgestanden und auf einen Sessel geklettert. Angestrengt überlegend, betrachtete er die gläsernen Kugeln auf ihren schwarz gebeizten Podesten. In einer Kugel fuhr eine filigrane goldene Kutsche, gezogen von zwei schwarz lackierten Pferden. Die Kutsche war bemannt, eine winzige Figur in blauem Gewand schwang eine Peitsche durch die Glaskugelluft. Der Boden unter der Kutsche war weiß bemalt. Aber was an dem Bild nicht stimmte, war, dass diese Welt in Wasser schwamm. Fragend blickte er seine Großmutter an.
»Du musst sie schütteln, Feri.«
Voller Konzentration beugte er seinen kleinen Körper der Kugel entgegen, bis er mit der Nase beinahe an sie stieß. Mit offenem Mund und – Alžbeta mochte es gar nicht sehen – schon wieder einem Speichelfädchen im Mundwinkel, stierte er in diese Miniaturwunderwelt hinein, in der blauberockte Kutscher mit Pferden durch das Wasser fuhren. Die Kutsche hatte etwas Orientalisches oder Chinesisches mit feinen Strukturen und Prägungen und einem Dach, das wohl einen güldenen Stoff hätte imitieren sollen. Eines der beiden Pferde hob beide Vorderbeine in die Luft, es war im Begriff, sich aufzubäumen, das andere Pferd lag schwer im Geschirr und hatte seinen Hals durchgebogen wie ein Schwan in Schwarz. Ob jemand in der Kutsche saß, konnte Feri nicht erkennen, aber dass da etwas Kraftvolles,Gewaltsames vor sich ging, das merkte er schon. Behutsam nahm er die Kugel endlich in beide Hände und schwang sie auf und ab durch die Luft. Dadurch kam etwas darin in Bewegung, das er vorhin nicht wahrgenommen hatte, ein Wirbel, ein Sturm, eine Schneelawine, die um diese Szenerie strudelte – Feri konnte seinen Blick kaum davon abwenden. Wieder hatte er damit begonnen, leise Töne aus seinem Mund zu entlassen. Alžbeta unterbrach ihn und lenkte seinen Blick auf die zweite Kugel: In ihr stand ein hellbrauner Hund, der das Maul offen hatte und bellte. Aber man hörte ihn nicht, oder wenn, dann war es nur Feri, der ihn durch das Winterwasser bellen hörte, ein muskulöser kraftstrotzender Hund mit festem Stand. Feri schüttelte abwechselnd die eine und dann die andere Kugel, konnte gar nicht genug von diesem Anblick bekommen von stiebendem Schnee, hörte den Kutscher rufen, die Glöckchen klingen am Geschirr der Pferde, hörte den Hund bellen, den Schnee fallen. Als er sich sattgesehen hatte, wandte er den Blick zu seiner Großmutter, die ihm zulachte. Aber etwas war plötzlich falsch in diesem Lachen, die Glocken in ihrer Brust schwangen nicht mehr in der reinen Klangfarbe, die er von ihr kannte und der er so sehr vertraute, und auch in ihre Stimme hatte sich ein neuer Ton gemischt wie ein Dieb unters Volk, als sie, Tränen unterdrückend, zu ihm sagte: »Damit du uns nicht vergisst, Feri. Und damit du immer, immer, wenn du es willst, in eine Kutsche steigen kannst und zu uns fährst, wenn du Sehnsucht nach uns hast. Und den Hund, ich habe leider keinen Schakal finden können, geben wir dir zur Bewachung mit. Auf dass du auch fern von hier zu dem Menschen werden kannst, der du tief in deinem Innern bist.«
Couvade-Syndrom
Alzano Lombardo, 1894
Feuchtblattern! Ja hatte sie denn ein Attentat auf ihn vor? »Du hast sie als Kind schon gehabt, Serafino, sei unbesorgt, diese Krankheit trage ich alleine aus« – Immaculata lag im Bett, das Gesicht, die Arme voller kleiner Krater, die Wasser spien –, »il dottore ist schon
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