Die Ruhelosen
Sie war stolze siebenundfünfzig Jahre alt, wer weiß, wie lange ihr der Herrgott noch das Erdenleben vergönnen mochte. Und eigentlich, so sinnierte Alžbeta weiter, habe ich alles gehabt.
Ganz ohne Wunsch und Traum schritt sie wie eine Schlafwandlerin durch die Ödenburger Gassen, als sie sich bei ihren Selbstbetrachtungen plötzlich in der Vergangenheit verlor … František und ich haben all unsere Ziele erreicht, wir verkehren in den angesehensten Kreisen und leben dennoch traut im eigenen kleinen Paradies, und auch für unseren Ferenc haben wir sämtliche Wege bereitet, haben ihn gut eingeführt in alle großen und kleinen Adelshäuser. Nein, ich vermisse nichts, ich habe mein Leben doch immer bis zum Höchstmaß meiner Anlagen ausgelebt, ich habe mich erfüllt!
Als eine Familie mit ihrem Kind an ihr vorbeiging und sie nickend grüßte, überkam es sie dann doch. Nur schade, dass es bei uns nur bei dem einen Kind geblieben ist. Ich hätte gerne mehr gehabt, eine ganze Kinderschar!
Sie bog in die Grabenrunde ein. Wenn wenigstens Enkel da wären, einer nur, aber Ferenc ist ja nicht gerade mutig, was das anbelangt. Da geht er mehr nach seinem Vater.
Obwohl, fiel ihr ein, und die dünne Flamme einer kleinen Hoffnung flackerte in ihr auf, obwohl wir ihn schon mehrfach in Gesellschaft dieser herzigen Roten aus Wien gesehen haben, hm, wer weiß, vielleicht sollten wir die beiden einmal zu einer Promenade einladen durch den Neuhof Park, dort, wo jetzt so oft zwei Artisten auf ihren Hochrädern kutschieren, oder, noch besser, zu einem Spaziergang mit Picknick auf die Karlshöhe! Der Wald ist so luftig undgrün, alles duftet und ist von Tausenden Vögeln belebt, und oben, auf dem obersten Podest des Holzturmes, wird sich das Kind, wenn es denn will, bestimmt vertrauensvoll an Ferenc schmiegen, wenn der Wind ihr so um die Ohren saust wie mir grad jetzt. Mit einem Male lächelte sie in sich hinein, und ihr Schritt ging etwas fester, bestimmter, als sie ihren Gedanken zu Ende zu denken wagte: Ach, wir können ja auch ein bisschen nachhelfen, ich werde heute Abend mit Franta darüber sprechen müssen, vielleicht ist nicht alles verloren, vielleicht erlebe ich den glücklichen Geburtstag eines Enkelkindes ja doch auch noch!
Fait accompli
Fiume, 1889
Er hatte sie dann schließlich doch geheiratet. Nach einer fluchtartigen Reise, die er wenige Tage auf diese nächtliche Entgleisung nach Sremska Mitrovica unternommen hatte, war er reuig zurückgekehrt und hatte wie ein in der Schlacht geschlagener Ritter bei Italo Polacco um die Hand seiner Tochter angehalten. Nicht, weil keine anderen da waren, aber es schien ihm einfach kein Argument mehr dagegen einzufallen, oder vielleicht gerade, weil so viele andere Frauen da waren, deren aufmerksame Blicke er erst nach besagtem Abend überhaupt wahrzunehmen begann und die ihm allesamt zutiefst zuwider waren. Einzig Abelardas Blick, der, begleitet von seltsamer Musik, immer wieder vor seinem geistigen Auge auftauchte, schien ihm nur in Maßen gefährlich, war ihm erträglich, und da sie ihn ja so sehr liebte und ihre Schwärmerei wohl doch etwas mehr war als dumme jugendliche Blindheit, vielleicht Kalkül und Schlauheit sogar, aus welchem Grunde auch immer, aber logische Schlussfolgerung und damit überlegtes Tun, wer weiß, auf jeden Fall gerade noch berechenbar für ihn, war es auszuhalten.
Die Wohnung in der Triester Innenstadt jedenfalls war keine Frage mehr, sie wurde ihm auf demselben blankpolierten Tablett serviert wie schon die junge Abelarda.
Und er konnte sich nicht beklagen. Als Ehefrau lernte Abelarda erschreckend schnell, nach welchen Regeln sie mit ihrem Manne zu spielen hatte und was galt. Hinter verschlossenen Türen, eingehüllt in die dunklen Decken ihresgemeinsamen Schlafgemaches, konnte sie mit ihm tun und lassen, wie ihr beliebte, da war auch er hemmungsloser, enthemmter, baumstarker Mann und ebenbürtiges Gegenüber für ihr Verlangen. Befanden sie sich aber gemeinsam auf offenem Feld, und dafür galt bereits der Salon vor der eigenen Schlafzimmertür, war jegliche Spielerei untersagt, und als einzig schicklich galt es: Abstand zu wahren. Selbst ihre gelegentlichen vielsagenden Blicke duldete er nicht und strafte Abelarda mit sofortigem Aufbruch, verließ sie für ein, zwei, drei, vier Tage, und bis er wiederkäme, hätte sie die Lektion wohl gelernt. Elia Primo kompromittierte man nicht, selbst dann nicht, wenn man seine Angetraute war.
Und sie erfüllte
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