Die Ruhelosen
das Fenster entlang. Seine Rippen zeichneten sich durch sein dünnes Fell klar ab, kein Gramm Fett, Feri ahnte bei seinem Anblick eine Elastizität, die ihn anzog. Wann immer er es einrichten konnte, drängte er seine Großmutter dazu, den Heimweg zu nehmen, der ihn an jenem fabelhaften Geschöpf vorbeiführte, das über sein Haus grad ebenso wachte wie die Werbeschilder aus Emaille und die neun eisernen Pfeile über die Müller-Paulin-Straße 1.
Aber heute hatte er es eilig gehabt, nichts als das blaue Päckchen mit der breiten lila Schleife im Kopf und Fragen über Fragen, was wohl darin verborgen sein mochte. Seine Großmutter hatte nichts mehr gesagt auf dem Nachhauseweg, überhaupt behauptete sie, man müsse in einem Winter wie diesem den Mund verschlossen halten draußen, sonst wüchsen einem Eiszapfen im Hals …, aber das glaubte ihr Feri nicht so recht, immerhin musste er ab und zu nach Luft schnappen bei dem Tempo, das sie an den Tag legte.
Sachte schloss Omami Alžbeta die Türe hinter ihm und schüttelte sich den Schnee von den Schultern. Dann klopfte sie ihm die Jacke aus und öffnete ihm die Knöpfe. Seine Handschuhe hatte Feri schon wieder von den Fingern gezerrt und in die Ecke geworfen, eine Nachlässigkeit, die ihm Alžbeta verzieh. Sie bückte sich und sank vor ihm in die Knie, um seine Schuhe zu öffnen. Die ganze Zeit über, während die Großmutter mit seiner Befreiung zugange war, blieb sein Blick auf dem Päckchen haften, so, als könnte er es allein dadurch zwingen, sich ihm zu offenbaren.
»Warte, hab auch etwas Geduld, Feri. Du bekommst es schon noch.«
Hatte er es doch gewusst! Seins!
Als sie ihm endlich auch die Überhose abgestreift hatte, rannte er hinüber in den Frisiersalon seines Großvaters. Keiner da. Also drehte er sich um und trampelte die hoheTreppe hinauf in die Wohngemächer, die aufstöhnende Alžbeta im Schlepp.
»Opapi, Opapi! Ich bekomme ein Geschenk!«
František Schön saß in seinem Barocksessel beim vorderen Fenster und blätterte in einer Friseursfachschrift. In den Rücken hatte er sich ein dickes Samtkissen gestopft, und vor ihm auf dem geschwungenen Tischchen mit Eichenfurnier dampfte eine bauchige Tasse warmen Kakaos. »Zeig her, was hast du denn bekommen?«
»Ich weiß es eben nicht! Omami Alžbeta verheimlicht es vor mir! Aber es ist meins! Meins!«
Alžbeta schnaufte laut auf, als sie oben anlangte und ging stracks auf den Tisch mit dem Kakao zu. »Fein, du kannst mir gerne grad auch so einen machen. Und für Feri ebenfalls, nicht wahr, junger Mann? Du bist doch auch hungrig von der langen Einkaufsreise?«
Feri nickte geistesabwesend, seine Augen konnten nirgends das blaue Päckchen mit der lila Schleife ausmachen, seine Großmutter würde es doch wohl nicht unten vergessen haben?
»Es ist mir eine Freude, Gnädigste!«, hauchte František theatralisch und machte eine untertänige Handbewegung. Dann stand er auf, umarmte seine Frau mit den Worten »Mmh, dein Haar riecht nach Schnee!« und ging in die Küche. Alžbeta sah ihm nach.
»Gleich gibt’s was, Feri.«
»Wo ist es?«
»Gleich.«
»Aber wo?«
»Gleich.«
Alžbeta bestand darauf, dass sie zuerst alle drei ihre Tassen mit Kakao austranken. Aber Feri hatte keine Lust auf Schnauz-Spiele und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Mund sauber, was ihm einen liebevoll tadelndenBlick seiner Großmutter eintrug. In ihrer Gluckenhaftigkeit konnte sie ihm gar nicht böse sein, das wusste er. Dann endlich stand sie auf und holte aus dem Vorraum das Päckchen. Feierlich überreichte sie es ihm. Es wog schwerer, als er gedacht hätte. Aufmerksam betrachtete er es von allen Seiten.
»Darf ich es jetzt aufmachen?«
»Mh.«
Vorsichtig öffnete Feri die Schleife. Bevor er sich an das blaue Papier machte, rollte er das Bändchen zu einem Kringel auf, den er seiner Großmutter auf den Schoß legte. Ihre Finger spielten nervös damit. Noch einmal besichtigte er die Konturen des Paketes, alles glatt, nichts ließ auf seinen Inhalt schließen. Er zögerte. František, dem das Getue bereits ein bisschen zu lange dauerte, er wollte sich onduliertechnisch noch auf den neuesten Wissensstand bringen und den Artikel zu Ende lesen, hüstelte auffällig. Alžbeta funkelte ihn kurz an und wandte sich dann mit ihrer Glockenklangstimme dem Enkel zu, der auf dem Boden vor ihr unschlüssig über dem Päckchen kauerte: »Es wird dir gefallen. Ganz bestimmt.«
Beruhigt durch die Worte seiner Großmutter faltete
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