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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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erdrückten jeden klaren Gedanken. Schauder durchliefen sie. Verloren? Den Stab des Gesetzes? Vor Jahrtausenden? Großer Gott! Was für eine merkwürdige Art von Vernunft hatte ihn befallen? Sein ausgemergelter Körper litt unter der Erosion allzu vieler Jahre – aber von solchen Größenordnungen konnte keinesfalls die Rede sein. Selbst ihre beeinträchtigten Sinne hätten ihn nicht in solchem Umfang missdeuten können. Wasser lief über ihre Gesichter, tropfte von ihren Kinnen. Sein Abscheu vor seinem eigenen Versagen war zu einem Wirbelsturm aus Zorn und Kummer geworden.
    »Ich hätte den Gewahrsam aufrechterhalten können!«, rief er. »Die Skurj aufhalten können. Mit dem Stab. Wenn ich seiner würdig gewesen wäre. Aber das war ich nicht! Stattdessen habe ich das mir anvertraute Pfand verloren. Mein Wort. Mein Geburtsrecht.« Vielleicht weinte er sogar. »Die ganze Erde.«
    »Anele!« Verzweiflung durchwogte Linden. Sie musste zusehen, dass er hier rauskam. »Anele, komm jetzt!« Sie konnte nicht klar denken. Steigerte der Sturm in seinem Inneren sich noch mehr, würde er vielleicht von dem Felsband springen – und sie mit sich reißen. Aber seine leidenschaftliche Verzweiflung verlangte nach Erlösung.
    Anele drückte seine Stirn fest an Lindens und bat sie flehentlich: »Oh, zerbrich mich! Gib mir den Tod! Reiß diesen Schmerz aus mir und lass mich sterben! Hast du zur Zeit des Sonnenübels bei Sunder und Hollian im Land geweilt und nichts über Verderben erfahren?«
    Im Land geweilt?
    Hatte er sie endlich erkannt?
    In einem Tumult aus Verwirrung und tosendem Wasser riss sie den Kopf zurück. » Verdammt noch mal, Anele! Natürlich weiß ich, was Verderben ist. Es gibt dir nicht das Recht, dir dies anzutun! Zwing mich um Himmels willen nicht dazu, dich hier rauszuschleppen!« Linden schob ihn leicht vorwärts; vielleicht würde er sich unter freiem Himmel endlich verständlicher ausdrücken.
    Einen Augenblick lang brannte aufflammende Erdkraft in seinen weißen Augen, ließ die Wassertropfen in seinem Bart glitzern. Als sie wieder erlosch, schien sie ihn ernüchtert zurückzulassen; in Düsternis getaucht. Er nickte, als hätte sie ihn mit ihren Worten verdammt. Linden, die es plötzlich verzweifelt eilig hatte, unter dem Wasserfall herauszukommen, packte ihn erneut am Arm und zog ihn weiter, hinter Liand und dem Schecken her.
    Im nächsten Augenblick versperrte Liands Gestalt ihnen den Weg. Er war zurückgekommen, um sie zu holen. »Was zögert ihr?«, rief er besorgt. »Stimmt etwas nicht?«
    Sie versuchte nicht, ihm zu antworten. Stattdessen bedeutete sie ihm mit einer brüsken Armbewegung, er solle zurückgehen. Als er gehorchte, kämpfte sie sich verbissen über die glitschigen Steine weiter. Mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnte, konzentrierte sie sich ganz darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aneles Rückkehr zur Vernunft verwirrte sie. Sie sehnte sich nach der Sicherheit von Sonne und Verständnis.
    Reiß diesen Schmerz aus mir und lass mich sterben!
    Elohim kannte sie; aber was zum Teufel waren Skurj?
    Ihr Stiefel glitt auf einer Stelle mit nassem Moos aus; sie klammerte sich kurz an Aneles Arm. Dabei war doch sie es, die ihn beschützen sollte. Sie hatte ihn besser gekannt, als er wahnsinnig gewesen war.
    Liand huschte ihnen schneller voraus, als Linden folgen konnte; einen Sturz schien er nicht zu fürchten. Vielleicht hatte sein Volk sich auf irgendeiner Ebene seine alte Beziehung zu Steinen bewahrt.
    Oh, die Erde! Ihre Knochen schreien auf!
    Als Anele und sie endlich in den hellen Trost des Tages hinaustraten, hatte sich zwischen ihnen alles verändert.
    »Linden Avery«, wandte Liand sich an sie. »Warum habt ihr gezögert? Ist etwas passiert?«
    Die frühlingshafte Wärme des Tages drang durch den Wasserstaub. Linden hielt weiter Aneles Arm umklammert. Blinzelnd, weil das Sonnenlicht sie blendete, begutachtete sie ihn mit allen ihren Sinnen.
    Er war vorhin bei Vernunft gewesen; dessen waren ihre Nerven sich sicher. Jetzt jedoch beeinträchtigte ein Konglomerat von Verwirrung seine Ausstrahlung; sein Verstand war wieder dem Wahnsinn verfallen. Und sein jammervoller Zustand veränderte sich. Die Art seiner Geistesgestörtheit wechselte ... und wechselte erneut. Vor ihren Augen schwankte er zwischen verschiedenen Phasen seines Irrsinns; die Landschaft seines Gesichts schien zu flimmern und zu verschwimmen, durch die Hitze seiner raschen Wechsel jeglicher Klarheit beraubt.

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