Die Runen der Erde - Covenant 07
dem Verächter ausgeliefert. Die Zäsuren waren aus ihrer Verzweiflung, ihrem sich selbst zugefügten Schmerz entstanden. Kein Wunder, dass sie ruhiger geworden war, als der Ring ihre Haut berührt hatte. Ohne es eigentlich zu wollen, hatte Linden ihrem Schmerz ein Ventil verschafft.
»Das war ich«, murmelte Linden. »Ich hätte mich um sie kümmern sollen, aber das habe ich nicht getan. Stattdessen habe ich ihr ermöglicht ...«
Esmer sah sie flüchtig, mit einem Blick voller Smaragde und Schmerzen an. In den Schatten auf seinem Gesicht standen Schweißperlen, und seine Lippen waren vor Anstrengung blass. Dann wandte er sich erneut ab.
Linden war so durcheinander, dass sie nicht gleich merkte, dass die Übelkeit, die sie in seiner Gegenwart empfand, schlimmer wurde; dass seine Ausstrahlung sich verstärkte. Trotz ihrer Verzweiflung nahmen ihre Nerven ihn jedoch deutlich wahr. Er lebte in endlosem Zwiespalt mit sich selbst, und der unstillbare Abscheu seiner Mütter begann wieder, ihn in seine Gewalt zu bringen. Zitternd, als friere sie, zwang sie sich dazu, den eigenen Kummer vorübergehend zu vergessen. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie zögernd.
»Deine Zeit läuft ab«, erwiderte Esmer. »Du vergeudest mich. Gehe ich nicht bald, erwürge ich diesen Haruchai, wie er vor mir liegt. Dann sind die Ranyhyn auf ewig für mich verloren.«
Sie fluchte halblaut vor sich hin. Das war unfair! Sie hatte zu viele Fragen und konnte einfach nicht schnell genug denken.
Um das Verfahren zu beschleunigen, sagte sie; »Entschuldige. Mach es dir leichter. Verbessere mich nur, wenn ich unrecht habe. Anele ist hier ... durch Jahrtausende vorwärts geschleudert ... weil er in eine Zäsur gestolpert ist.«
Das hatte der Alte ihr praktisch erzählt. Damals hatte Linden noch nicht gewusst, dass die Stürze aus abgetrennten Augenblicken bestanden. Jetzt vermutete sie, dass es innerhalb einer Zäsur möglich sein müsste, Zeitreisen zu unternehmen; dass jeder, der in eine Zäsur geriet, fast unweigerlich anderswo herauskommen würde.
Esmer nickte nur: ein ärgerliches Kopfrucken.
Linden, die weiter nur Vermutungen anstellte, fügte hinzu: »Die Urbösen ebenfalls.«
Das würde erklären, wie sie Lord Fouls Ausrottungsversuche überlebt hatten.
Cails Sohn schnaubte, als hätte sie das Wesentliche übersehen. »Sie sind nicht ›reingestolpert‹. Sie wussten, was sie taten. Sie haben die Zäsur auf der Flucht vor dem Verächter betreten. Und sie haben eine Zeit gesucht, in der sie gegen ihn benötigt werden würden.«
Linden biss sich auf die Unterlippe. »Und sie haben sie hier gefunden? Jetzt?«
»Wildträgerin«, antwortete Esmer, »sie haben dich gefunden.« Vielschichtiger Zorn ließ seine Stimme gepresst klingen. »Sie haben die Absicht, dir zu dienen.«
Trotz ihrer Übelkeit sah sie Andeutungen von Gewalt, die sich in ihm sammelten, und mögliche Lügen. Cails Sohn hätte ihre Fragen ehrlich beantwortet. Würde der Abkömmling von Tänzerinnen der See das auch tun?
»Als du von den Haruchai gefangen gehalten wurdest«, fuhr er in sarkastischem Tonfall fort, »haben die Urbösen einen Sturm geschickt, um dir die Flucht zu ermöglichen. Als du von Kresch bedroht warst, sind sie dir zu Hilfe geeilt. Und bei unserem ersten Zusammentreffen sind sie erschienen, um sicherzustellen, dass dir nichts geschieht. Sie halten Wache wider mich. Sie wissen, wer ich bin.« Ein böses Lächeln umspielte seine Lippen, als er murmelte: »Auf ihre Art sind sie machtvoll. Vielleicht könnten sie mir widerstehen. Aber mein Wissen ist größer als ihres. Deshalb fürchten sie mich.«
Auch Linden fürchtete ihn.
Aus dem Wunsch nach irgendeiner Bestätigung, einer nochmaligen Versicherung kehrte sie zu ihrer früheren Frage zurück. »Aber Anele? Er ist wirklich der Sohn Sunders und Hollians? Er hat den Stab des Gesetzes verloren, weil er seine Höhle verlassen hat?«
Wieder antwortete Esmer mit einem knappen Nicken.
Linden, die ihren Oberkörper mit den Armen umschlang, als friere sie, wagte endlich, ihre unausgesprochene Absicht zu benennen. »Könnte er ihn wiederfinden?«, fragte sie. »Wenn er in die Vergangenheit zurückginge?«
Esmer sprang plötzlich auf. Linden fuhr zusammen, weil sie fürchtete, er werde mit großen Schritten aus der Wohnstätte stürmen; sie zu unwissend zurücklassen, um die bevorstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Aber das tat er nicht. Stattdessen begann er, seiner inneren Anspannung dadurch
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