Die Runen der Erde - Covenant 07
einfach nur zu helfen. Sie hatten Linden während des Rösserrituals gewarnt. Jetzt würden sie ihre Versprechen halten.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, suchte sie das Lager nach Hyn und Hynyn ab. Als sie auftauchten, fasste sie neuen Mut – wie zuvor, als Mahrtiir sie über Esmers Zäsur informiert hatte. Die Sterne auf ihren Stirnen leuchteten trotz des trüben Nieselwetters. Kein bloßer Regen konnte ihre Pracht beeinträchtigen.
Und sie waren nicht allein. Weitere Ranyhyn, drei, vier, fünf der großen Pferde, folgten Hyn und Hynyn, als sie zwischen den Wohnstätten hindurch auf Linden und ihre Gefährten zugaloppierten.
Sieben Ranyhyn. Stave und sie selbst. Anele und Liand. Mahrtiir, Bhapa und Pahni. Die großen Pferde boten aus eigenem Antrieb alle Unterstützung an, um die Linden hätte bitten können.
Kein Ramen hatte jemals ein Ranyhyn geritten; trotzdem wollte sie nicht, dass Mahrtiir und seine Seilträgerin sich weigerten. Es wurde Zeit, alte Verpflichtungen neu zu definieren. Fieber und jähe Freude durchwogten sie. Als ihr Herz höherschlug, riss sie die Arme hoch und erhob zugleich ihre Stimme; rief jubelnd und zur Begrüßung: »Ja!«
Sie sah nicht, wie der Lehrenkundige ein Messer mit gekrümmter, brennender Klinge zog, als ob er es aus dem eigenen schwarzen Fleisch erschaffen hätte. Und sie hörte auch nicht, wie die Stimmen der Urbösen sich wie zu einer Anrufung vereinigten. Eine Woge aus anschwellender Kraft lief durch den Keil, als der Lehrenkundige sich eine Handfläche aufschnitt und dann die Finger krümmte, um sein pechschwarzes Blut aufzufangen; aber Linden achtete nicht darauf. Dass die Urbösen ihren Schrei als Zustimmung aufgefasst hatten, merkte sie erst, als der Lehrenkundige sie am Arm packte, ihre Hand zu sich herzog. In der Schrecksekunde, bevor Angst aufkommen konnte, sah Linden die Klinge wie geschmolzenes Metall über ihrer Handfläche glühen: rötlich strahlend, mächtig wie Götterblut. Als sie die Hand wegzureißen versuchte, führte der Lehrenkundige einen Schnitt – eine schmerzende dünne rote Linie – quer über den Daumenansatz. Sofort kippte das Wesen sein Blut in ihre Hand und hielt sie mit seiner umklammert, damit ihre Wunden und ihr Blut sich berührten, sich vermischten.
Liand schlug nach dem Handgelenk des Urbösen, der Lindens Hand jedoch weiter eisern umklammert hielt, während die geballte Kraft des Keils in den Lehrenkundigen floss. Gleichzeitig warf Mahrtiir dem Urbösen seine Garrotte um den Hals; aber ein Aufblitzen von Vitriol und Feuer ließ das Seil sofort in Flammen aufgehen. Als einziger ihrer Gefährten versuchte Stave nicht, Linden zu verteidigen. Vielleicht glaubte er, dass die Urbösen sie daran hindern könnten, die Zäsur zu betreten.
Ihr den Ranyhyn geltender Willkommensruf wurde zu einem Klagelaut, der jäh verstummte, als ungestüme Kraft wie eine Herde Wildpferde von der Hand über den Arm in ihr Herz galoppierte. Von einem Herzschlag zum nächsten wurde sie in den Himmel erhoben; von Fieber und Schmerzen und Verzweiflung in ein Reich aus grenzenlosen Möglichkeiten versetzt; mit blühender Gesundheit und Vitalität und Leben bedacht, als hätte sie sich in ein Wesen aus Erdkraft verwandelt. Und in diesem Augenblick fühlte sie sich plötzlich imstande, ihr Schicksal zu meistern.
Die in ihr aufwallende Transzendenz verschwand fast sofort wieder, doch sie wusste, dass es gut so war. Hätte ihr Zustand zu lange angehalten, hätte Linden vor Ekstase wahnsinnig werden können. Stattdessen ließ diese Woge von Erdkraft sie erschöpft und ermutigt zugleich zurück. Sie zitterte noch immer, aber sie war nicht mehr krank, fühlte sich wie neugeboren, fast erlöst: voller neuem Potenzial wie ein Sonnenaufgang.
Sie konnte nicht sprechen, taumelte zwischen Wogen der Erneuerung und einem Meer aus Tränen, Dankbarkeit und Sehnsüchten. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins versuchte Liand, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken, obwohl sein Sinn für das Gesunde ihm sagen musste, dass sie sich wohlfühlte. Nur am Rande registrierte Linden, wie Stave und die Ramen die Ranyhyn begrüßten, während Esmer mit den Urbösen Verwünschungen oder Versprechungen austauschte. Linden aber kehrte nicht zu sich selbst zurück, bis sie spürte, dass eine Hand an ihrem Umhang zupfte. Als sie ihre Sicht frei blinzelte, sah sie Anele vor sich stehen.
Wie schon einmal zuvor leuchtete Thomas Covenants Liebe aus seinen Zügen. Knöcheltief in regennassem Gras stehend,
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