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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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offensichtlich unfertig. Die Teile waren ihm ausgegangen, bevor er die Türme über das Kopfende seines Bettes hinweg durch Schienen hatte verbinden können. Linden hatte sofort die restlichen Schachteln nach oben getragen. Wie die erste wurden sie den ganzen Tag lang ignoriert, und wie die erste wurden sie nachts geöffnet, ihr Inhalt verwendet. Jetzt zogen sich Stützen und Träger und Stege entlang der Wände, unter dem Fenster, über die Kommode und am Kleiderschrank vorbei in Richtung Tür. Schienenstücke waren unter- und miteinander verwoben wie die Sehnen irgendeines sich selbst vermehrenden Rokoko-Roboters.
    Die Rennwagen lagen bis zum heutigen Tag unbeachtet in einer Ecke des Zimmers, und Jeremiahs Konstruktion war offenbar noch immer nicht fertig gewesen. Nach eifriger Suche hatte Linden schließlich noch einige dieser Baukästen aufgetrieben, und zum Glück hatten sie ausgereicht. Als Jeremiah die letzte Kunststoffstütze, das letzte Schienenstück verbaut hatte, war er fertig.
    Jetzt ragten auf beiden Seiten der Zimmertür mit Schienenwendeln geschmückte Türme auf, die auf Höhe des Türsturzes einen Bogen bildeten. Weit gespannte Rennbahnen verbanden diese Gebilde mit den schon zuvor fertiggestellten Türmen. Trotzdem wären sie für Rennautos nicht benutzbar gewesen. Die Schienen mit all ihren Loopings, Kurven, Steigungen und Gefällestrecken bildeten ein kompliziertes Möbius'sches Band, das so in sich verdreht war, dass ein Finger, der die Strecke verfolgt hätte, im Lauf der Zeit jeden Zentimeter seiner Ober- und Unterseite berührt hätte.
    Linden hatte Jeremiah nie gebeten, diese Konstruktion wieder abzubauen, weil sie vermutete, dass sie ihm besonders viel bedeutete. Weshalb sonst hätte er sie nur spät nachts erbauen sollen, wenn er allein war? In gewisser Weise war sie ein ungewöhnlicherer Ausdruck seiner Persönlichkeit als alles andere, was er bisher gebaut hatte. Aus Respekt vor seiner Leistung ließ sie das Gebilde, wie es war. Musste sie an seinen Kleiderschrank, duckte sie sich gut gelaunt unter den Bogen hindurch.
    Die Rennwagen blieben auf der Kommode stehen, wo Linden sie wie Ausstellungsstücke aufgereiht hatte. Sie hoffte, er werde sich irgendwann für sie interessieren, aber sie schienen ihm weiterhin nichts zu bedeuten.
    Linden schüttelte in nunmehr vertrautem Erstaunen über sein geheimnisvolles Talent den Kopf, brachte Jeremiah zu Bett und erkundigte sich, aus welchem seiner Bücher sie ihm vorlesen solle. Er gab wie immer keine Antwort, aber weil sie glaubte, dass die Abenteuer eines einsamen Jungen, der über unmögliche Widrigkeiten triumphierte, seinem gefesselten Verstand etwas bedeuten könnten, zog sie eines seiner Bücher aus der »Bomba, der Dschungeljunge«-Reihe heraus und las ihm einige Kapitel daraus vor. Dann gab sie ihm einen Gutenachtkuss, zog die Bettdecke zurecht, knipste das Licht aus und ließ ihn schlafen.
    Zumindest in dieser Beziehung war er ein normaler Junge, sogar ein normaler Teenager: Er schlief tief, fast bewusstlos, mit von sich gestreckten Gliedmaßen, als gehörten sie gar nicht zu ihm. Nur sehr selten traf sie ihn noch wach an, wenn sie nach ihm sah, bevor sie selbst zu Bett ging. Und sie wusste nie, was ihn geweckt oder beunruhigt hatte.
    An irgendeinem anderen Abend hätte sie ihre Zeit vielleicht dafür genutzt, Bürokram zu erledigen oder zu lesen, aber heute Abend war sie nicht allein. Unmengen von Erinnerungen, ruhelos und unwiderstehlich wie Gespenster, begleiteten sie durch das Haus. Vor allem erinnerte sie sich an Thomas Covenants hageres Gesicht und seinen schmerzerfüllten Blick, klar umrissen wie ein Kupferstich und ihr auf seine Weise ebenso wertvoll wie Jeremiahs wehrlose Schlaffheit.
    Auch andere konnte sie nicht vergessen: Sunder und Hollian; die Riesen der Suche; alle ihre Freunde im Land. Sie nahm sich vor, eine Stunde allein mit ihnen zu verbringen, wenigstens in Gedanken ihre Dankbarkeit und ihren Kummer zu teilen, und ging in die Küche hinunter, um Teewasser heiß zu machen. Heiße Pfefferminze würde sie vielleicht ein wenig trösten, während sie litt.
    Während sie den Wasserkocher anstellte, einen Teebeutel in die Tasse hängte und heißes Wasser darüber goss, zog sie es vor, sich auf die Reisen zu konzentrieren. Sie fand Trost darin, sich an ihr aufgeschlossenes Wesen, ihre langatmigen Geschichten und ihr von Herzen kommendes Lachen zu erinnern. Die Erste der Sucher und ihren Ehemann Pechnase hatte sie zuletzt vor

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