Die Runen der Erde - Covenant 07
Unterwegs hatten sie vom Betteln gelebt, wenn sie nicht predigen und um Spenden bitten konnten. Durch eine Art Massenhysterie vielleicht in eine Art Trance versetzt, hatten sie Joan aus dem Haus ihres Exmanns entführt und eine Kuh geschlachtet, um das Anwesen mit Blut beschmieren zu können. Dann hatten sie Joan in den Wald hinter der Farm verschleppt und ein riesiges Feuer entzündet. Als Covenant endlich gekommen war, um Joan zu befreien, hatten Mrs. Jason und ihre Kinder zu den Ersten gehört, die ihre rechte Hand in die lodernden Flammen hielten: Hosea nach seiner Mutter, dann Rebecca, zuletzt der fünfjährige Jeremiah.
Obwohl Linden jahrelang darüber hatte nachgrübeln können, begriff sie noch immer nicht, wie normale Erwachsene, von unverständigen Kindern ganz zu schweigen, dazu gebracht worden waren, die Schmerzen zu ertragen, bis das Fleisch von den Knochen gebrannt war. Trotzdem blieb es eine Tatsache, dass Marsha Jason, Hosea und Rebecca genau das getan hatten. Jeremiahs rechte Hand war fast ebenso grausig verstümmelt worden. Und diesen vieren waren weitere Gemeindemitglieder gefolgt.
Im Feuer war dann Lord Foul erschienen, um Covenants Leben zu fordern.
Linden konnte sich noch heute viel zu gut an die Augen – kariös wie Reißzähne – des Verächters erinnern, wie sie in den Flammen sichtbar geworden waren. Sie würde nie vergessen, wie er in der heißen Lohe Gestalt angenommen hatte. Von Feuer und dargebrachten Schmerzen genährt, hatte sein Anblick ihr das Blut in den Adern stocken lassen. Und so war sie gelähmt geblieben, als der Spiritus rector der Anbeter Fouls Joan sein Messer an die Kehle gesetzt hatte. Er hatte gedroht, er werde Joan opfern, wenn Covenant sich ihnen nicht ergab.
Dann hatte Covenant seine Exfrau vor dem sicheren Tod gerettet, und Linden hatte endlich ihre Lähmung überwunden. Sie war zum Feuer gestürmt und hatte verzweifelt versucht, das Messer von Covenants Brust abzulenken. Aber der Anführer, der das Messer führte, hatte sie niedergeschlagen, und als sie das Bewusstsein verlor, hatte sie noch gesehen, wie die Klinge in Covenants Körper versank, auf sein Herz zu.
Einige Stunden oder ein Leben lang später, im Morgengrauen eines neuen Tages, hatte Doktor Berenford sie neben dem toten Covenant liegend aufgefunden. Mrs. Jason hatte ihn herausgeklingelt, damit er ihre Kinder und sie behandelte. Sheriff Lytton und er hatten Joan in Covenants Haus im Bett vorgefunden: schlafend, offenbar ohne Erinnerung an die Ereignisse dieser Nacht. Während Lytton Joan ins County Hospital gefahren hatte, hatte Julius den Wald hinter der Haven-Farm abgesucht, bis er Linden und Covenant entdeckt hatte. Und auf diese Art hatte er ihr jeglichen Vorwurf erspart, sie habe irgendwas mit Covenants Tod zu tun gehabt. Juristisch war sie natürlich unschuldig. Moralisch fühlte sie sich sehr wohl schuldig.
In den langen Monaten dieser einen Nacht hatte sie grausam gelitten. Trotzdem war sie sofort in den OP gegangen, als Julius sie in die Stadt mitgenommen hatte. Gemeinsam hatten sie sich endlos lange bemüht, möglichst viele vom Feuer verstümmelte Hände zu retten. Bei Hosea und Rebecca war Linden nichts anderes übrig geblieben, als ihre Hände zu amputieren. Bei Jeremiah war sie jedoch erfolgreicher gewesen. Mit schierer Hartnäckigkeit und chirurgischem Können war es ihr gelungen, den halben Daumen und die beiden äußeren Finger seiner rechten Hand zu retten.
Sie blieben kürzer, als sie hätten sein sollen. Trotzdem waren sie jetzt kräftig; er konnte sie nutzen. Wenigstens in diesem Punkt konnte Linden sich verzeihen, was ihm zugestoßen war.
Damals hatte sie noch nicht an andere Formen von Wiedergutmachung gedacht. Das spezielle Verantwortungsbewusstsein, das Covenant und das Land sie gelehrt hatten, hatte sich erst allmählich bemerkbar gemacht. Nach der anfänglichen Krise war sie monatelang nur damit beschäftigt gewesen, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen: an der County selbst und ihre Arbeit im County Hospital. Und dann hatte Julius Berenford sie für die langwierigen Bemühungen eingespannt, die letztlich dazu geführt hatten, dass das Berenford Memorial Psychiatric Hospital gebaut und sie zur Chefärztin ernannt worden war.
Fast zwei Jahre verstrichen, ehe sie den in ihrem Herzen verbliebenen Schmerz als das erkannte, was er war: nicht Trauer wegen Covenants Tod, obwohl dieses Stechen nie seine schmerzliche Intensität verlor, sondern vielmehr eine Leere, die das Land
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