Die Runen der Erde - Covenant 07
den Mund, und ihre Augen blieben dunkel von Zweifeln.
»Alles in Ordnung?«, fragte Linden rasch.
»Ich hatte eine Ahnung ...«, begann Sandy, dann verstummte sie und versuchte ein wenig überzeugendes Lächeln. »Was dich heute beunruhigt hat, muss ansteckend gewesen sein. Es hat mir zugesetzt, als ich heimgefahren bin. Ich konnte keine Ruhe finden ...« Sie lächelte nochmals, diesmal etwas erfolgreicher. »Ich wusste, dass du anrufen würdest. Als das Telefon geklingelt hat, hatte ich den Mantel schon an.« Auf ihrem Gesicht erschien wieder ein Ausdruck unbestimmter Angst. »Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert.«
»Ich sage dir Bescheid«, antwortete Linden, um nichts erklären zu müssen. »Ich rufe an, sobald ich kann.«
Sandy nickte stumm. Sie schien mehr auf den Wind zu horchen, als Linden zuzuhören.
Noch immer zitternd riss Linden ihren Mantel aus dem Garderobenschrank in der Diele, verknotete den Gürtel und trat in die Nacht hinaus. Als sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, blieb sie stehen, bis sie das Türschloss klicken hörte. Obwohl sie sich nicht erklären konnte, was Sandy aus ihrer gewohnten phlegmatischen Ruhe gebracht hatte, war sie froh darüber. In ihrer Angst würde Sandy umso vorsichtiger sein, und Linden wünschte sich das Maximum an Fürsorge, das Sandy für Jeremiah aufbringen konnte. Sie brauchte diese Gewissheit, um ihre einsetzende Überzeugung, sie lasse ihren Sohn im Stich, ertragen zu können. Mehr als alles andere sehnte Linden sich danach, jetzt mit Jeremiah zu fliehen, ihn einfach ins Auto zu packen und mit ihm davonzurasen ...
Wusste Roger Covenant wirklich nicht, dass sie einen Sohn hatte?
Wegen des Steinstaubs im Wind musste sie den Mund zumachen und die Augen zusammenkneifen. Linden hüllte sich in ihre Entschlossenheit wie in einen zweiten Mantel und zwang sich dazu, die Verandatreppe hinunter und über den Rasen zu ihrem Auto zu laufen. Als sie die Autotür öffnete, riss ein heftiger Windstoß sie ihr fast aus der Hand, und Linden fiel halb auf den Fahrersitz, als sei sie hineingestoßen worden. Die Tür leistete dem Zug ihrer Hand noch einen Augenblick Widerstand, dann schloss sie sich mit einem Knall. Der Schlag war so gewaltig, dass der ganze Wagen davon schwankte.
Der Anlasser quälte sich kurz, dann sprang der Motor an. Linden stieß vorsichtig rückwärts auf die Straße hinaus und fuhr in Richtung Berenford Memorial davon. Ein bis zwei Straßenblocks weit ließ der Wind sie unbehelligt. Dann fiel er wieder über ihr Auto her, heulte in den Radkästen und ließ Motorhaube und Kofferraumdeckel vibrieren. Die Straßenlampen beleuchteten dunkle Streifen in der Luft, als kündige die heranziehende Sturmfront sich mit Händen voller Staub an. Sie wirbelten durcheinander, wenn sie den Wagen trafen, bildeten für Augenblicke seltsame Formen auf der Windschutzscheibe und tanzten davon.
Zum Glück war es zum Berenford Memorial nicht weit. Und in der Stadtmitte gab es mehr Straßenlampen, die deshalb heller wirkten. Trotzdem tanzte Staub in Schleiern und langen Bändern durch die Luft und wurde an Gebäudekanten verwirbelt. In den Luftwirbeln wanden sich Papierfetzen wie gequälte Lebewesen.
Sie fuhr am Klotz des County Hospitals vorbei und bog unmittelbar vor dem Berenford Memorial auf den Parkplatz ab, der auch vom Klinikpersonal genutzt wurde. Der Haupteingang war von dort aus nicht zu sehen, aber drei Streifenwagen hatten Lindens Klinik vor ihr erreicht. Ihre weiter eingeschalteten Blinkleuchten erhellten die Nacht mit bedeutungslosen Warnsignalen.
Wegen des Staubs in der Luft und des schmerzhaft kalten Windes hüllte sie sich enger in ihren Mantel und folgte hastig dem Fußweg zum Haupteingang. Sie hätte den Personaleingang nutzen und sich dreißig Meter sparen können, aber sie wollte das Gebäude so betreten, wie Roger es betreten haben musste, um die Abfolge dessen zu sehen, was er getan hatte. Sie bog um die Gebäudeecke und hastete die Vorderfront des Gebäudes entlang. Auf der Treppe zum Haupteingang nahm sie fast rennend je zwei Stufen auf einmal. Die durch Außenleuchten, aber auch durch Licht aus der kleinen Eingangshalle erhellte Eingangstür erschien vor ihr, als sei sie aus einer anderen Realität hierher versetzt worden. Linden wollte sie eben aufdrücken, als sie das hässliche Loch an der Stelle sah, wo bisher das Schloss gesessen hatte. Von dem Loch aus liefen gezackte Sprünge strahlenförmig durchs Glas.
Der Klinikeingang war
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