Die Runen der Erde - Covenant 07
ihre Gefährten ihn weiter beobachteten und warteten, hob er ruckartig den Kopf und wandte sich ihr zu – trotz seiner Blindheit unfehlbar sicher. »Du«, keuchte er zwischen krampfhaften Atemzügen. »Du, die du versprochen hast ... Anele bittet dich ... Oh, er fleht dich an ... Sag ihm, dass er dich nicht ... im Stich gelassen hat, als du ... seiner bedurftest.«
Bevor Linden wusste, dass sie sich bewegt hatte, kniete sie an seiner Seite, hatte ihre Gefährten und den Stab und alle Meister vergessen. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an ihr Herz. »Oh, Anele.« Tränen, die sie nicht zurückhalten konnte, liefen ihr über das Gesicht. »Anele.« Sein alter Körper zitterte in ihrer Umarmung. » Natürlich hast du mich nicht im Stich gelassen. Du lieber Gott, nein. Du hast weit mehr getan, als ich hätte verlangen dürfen. Das hast du immer getan. Ach, Anele ...« Mit einer Hand strich sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann küsste sie ihn zärtlich auf die Stirn. »Manchmal verblüffst du mich.«
Er hatte gesagt: Ich bin solchen Staunens unwürdig. Aber das stimmte nicht.
Falls er sie verstand – falls er sich bruchstückhaft an die eigene Vergangenheit erinnerte –, ließ er sich nichts davon anmerken. Seine Atmung beruhigte sich allmählich, und die Verkrampfung wich aus seinen Muskeln. Langsam kam er in ihren Armen zur Ruhe.
Liand gesellte sich zu ihr, während sie sich auf den Alten konzentrierte. Als Anele endlich zur Ruhe gekommen war, half der Steinhausener ihr, ihn auf die Beine zu stellen. Indem sie ihn zwischen sich stützten, geleiteten sie ihn behutsam zur ersten Sitzreihe, wo sie ihn zwischen Bhapa und Pahni platzierten. Erst dann holte Linden sich den Stab wieder und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Meister; auf Handir und Stave, die nicht mehr gesprochen hatten, seit sie Anele um Hilfe gebeten hatte.
Was der alte Mann auf ihr Geheiß erlitten hatte, beschämte Linden so sehr, dass sie jetzt keinen Unterschied zwischen den beiden Haruchai machte.
»Ich hoffe, ihr seid zufrieden«, sagte sie schmallippig. »Mir reicht es jetzt. Vertraut uns oder lasst es bleiben. Entscheidet euch nur. Mehr kann ich nicht tun, um euch zu überzeugen.«
In Handirs Gesichtsausdruck schien sie nichts außer Ablehnung zu erkennen. Trotzdem kam die Antwort nicht von der Stimme der Meister.
Sie kam von Stave.
Obwohl er an Handirs Seite stand, als sei er mit ihm gegen sie vereint, machte er eine wohlüberlegte Verbeugung. »Du bist Linden Avery die Auserwählte«, begann er ausdruckslos, »und wir haben dich angehört. Du hast vieles gesagt, was dir und deinen Gefährten und uns selbst zum Nachteil gereicht. Nun will ich wieder sprechen.
Ich habe deine gefährlichen Taten aufgezählt. Und ich habe gesagt, dass ich fürchte, was du noch alles um deines Sohnes willen tun könntest. Ich fürchte es wirklich. Aus solchen Gründen sind die Meister nicht bereit, dir zu vertrauen. Trotzdem ist ein weiterer Aspekt bisher nicht angesprochen worden.«
Lindens Hoffnungen schwanden allmählich dahin, bis sie Stave sagen hörte: »Mein Volk hat nicht an dem Rösserritual teilgenommen, das du und ich gemeinsam erlebt haben. Ich habe noch nicht vom Willen der Ranyhyn gesprochen.«
Was ...?
Sie setzte sich ruckartig auf. Ihre Augen brannten, als sie seinen ausdruckslosen Blick erwiderte. Sie umfasste den Stab fester, während sie darauf wartete, dass Stave weitersprach.
Er hatte den Haruchai alles andere berichtet ...
»Dir ist aufgefallen«, bemerkte er fast beiläufig, »dass meine Einstellung dir gegenüber sich durch das Rösserritual verändert hat. Du wolltest den Grund dafür wissen. Ich habe die Antwort verweigert. Ich habe dir nur erklärt, dass ich auf den rechten Ort und die rechte Zeit warte, um zu sprechen. Beide Voraussetzungen sind jetzt erfüllt.«
Er sprach weiter mit Linden, als seien seine Worte allein für sie bestimmt; und sie konnte ihn nur sprachlos verblüfft anstarren, als er fortfuhr.
»Als die beiden Ranyhyn Hyn und Hynyn uns in das Tal mit dem schaurigen Bergsee getragen hatten, an dem ihr uralter Versammlungsort liegt, habe ich mir geschworen, nicht an ihrem Gemeinschaftsritual teilzunehmen.«
Sie erinnerte sich lebhaft an seine Weigerung. Ich bin ein Haruchai. Wir bedürfen keiner Rösserrituale.
»Dort hast du versucht, mich zu demütigen«, sagte Stave, »wie du es auch hier getan hast. Trotzdem haben deine Worte mich umgestimmt, obgleich ich mich nicht
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