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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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auf die Probe stellen, wie er es bei ihr getan hatte; sie musste hören, wie er seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellte.
    Sie schwankte einen Augenblick, konnte kaum das Gleichgewicht halten. »Entschuldigung«, flüsterte sie, als könnte er sie wegen ihrer Schwäche verachten. »Ich bin sehr müde und kann kaum klar denken. Was hat Anele an sich, das euch Sorgen macht? Warum ist es so wichtig, ihn in Gefangenschaft zu halten?« Was konnte dieser arme Alte schon anrichten?
    Stave antwortete gleichmütig: »Er ist ein Mann von Erdkraft.«
    »Das kannst du sehen? « Anele hatte ihr erklärt, Kevins Schmutz behindere die Meister nicht, aber sie hatte an seiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt.
    »Du hast auf dem Kevinsblick gestanden, nicht wahr?«, erwiderte der Haruchai, als zucke er mit den Schultern. »Wir haben wilde Magie gespürt, die von dort gekommen ist. Aus dieser Höhe ist dir bestimmt eine gelbe Wolkendecke aufgefallen, die wie ein Leichentuch über dem Land liegt. Hattest du nicht das Gefühl, sie bedecke das Land mit Bösem?« Als sie nickte, fuhr er fort: »Sie heißt Kevins Schmutz. Sie hat die Einwohner des Landes geblendet. Sie raubt ihnen ihr ...« Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. »... Urteilsvermögen. Sie sind außerstande, die Lebensgrundlagen des Landes richtig zu erfassen. Aber wir sind Haruchai. Wir behalten unser Urteilsvermögen. Daher können wir das Land beschützen.«
    Trotz seiner Geistesgestörtheit hatte Anele ihr also die Wahrheit gesagt – sogar in mehreren Punkten. Staves Erklärung warf jedoch eine weitere Frage auf. Das Land wovor beschützen? Sein Volk und er waren stark und unerschrocken; trotzdem besaßen sie nicht die Macht, um gegen Erscheinungen wie Kevins Schmutz oder die Zäsuren zu kämpfen. Sie wusste nicht einmal sicher, ob sie sich überhaupt bekämpfen ließen. Wovon also wurde das Land außerdem bedroht? Doch Linden behielt diese Frage zunächst für sich; sie wollte sich nicht von Aneles Notlage ablenken lassen. »Also gut«, wiederholte sie, »er ist voller Erdkraft. Und wenn schon? Wieso macht ihn das gefährlich?«
    »Das wissen wir nicht«, gab Stave zu. »Aber die Erdkraft ist sein. Niemand kann sie ihm wegnehmen. Deshalb lassen wir ihn nicht wieder frei.«
    »Weil ihr annehmt, er könnte sie eines Tages gebrauchen? Was ist dagegen einzuwenden?« Schließlich war Erdkraft die unendlich kostbare natürliche Lebenskraft des Landes.
    »Das verstehst du nicht«, teilte der Haruchai ihr leidenschaftslos mit. »Jeglicher Gebrauch von Erdkraft dient dem Verderber.«
    Jetzt starrte Linden ihn bestürzt an. »Was, Erdkraft? Ihr haltet Erdkraft für verderblich? « Wie konnte irgendein vernunftbegabtes Wesen den Geist und die Substanz des Landes für verderblich halten?
    Anele, der weiter ihre Beine umfing, keuchte verzweifelt: »Lass sie das nicht tun! Sie sind unbarmherzig und schrecklich. Erkennst du das nicht? Sie werden Anele vernichten. Er ist die Hoffnung des Landes!« Er begann krampfhaft zu husten, als ersticke er an Kummer.
    Stave ignorierte den Alten. »Du bist wirklich übermüdet, Linden Avery«, stellte er fest. »Du hast mir nicht richtig zugehört. Erdkraft ist nicht ›verderblich‹. Das ist unmöglich. Ich habe gesagt, dass jeglicher Gebrauch von Erdkraft dem Verderber dient.«
    Linden schwindelte es innerlich; die vielen Angriffe auf ihre Vorstellungen ließen sie taumeln. Er ist die Hoffnung des Landes ... Wer? Anele? Wie? Und wie konnte der Gebrauch von Erdkraft Lord Foul dienen? Die beiden waren fundamental entgegengesetzt. Jeglicher Gebrauch ...? Im Namen menschlicher Vernunft, wie war Staves Volk zu einer so grotesken Fehleinschätzung gelangt?
    Sie konnte nicht ...
    Sie hatte es plötzlich eilig, beugte sich nochmals hinunter und umfasste Aneles Gesicht mit beiden Händen, damit er bestimmt zuhörte. »Anele, pass auf. Ich habe gehört, was du gesagt hast. Ich vergesse es nicht. Aber ich kann mich nicht mit so vielen Fragen gleichzeitig beschäftigen. Du musst mich loslassen. Du musst geduldig sein. Bevor ich irgendetwas unternehme, muss ich mich darauf konzentrieren, was Stave sagt. Ich bleibe bei dir. Ich gehe dieser Sache auf den Grund.« Irgendwie. »Aber erst musst du mich loslassen.«
    Aneles Augen starrten blind in ihre. Das flackernde Licht ließ Schatten der Verzweiflung über sein Gesicht ziehen. Zwischen Hustenanfällen kam tief aus seiner Brust ein heiseres Stöhnen. In kleinen Schritten lockerte er seinen

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