Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
hinabschwangen, die fast so aussahen wie Gargoyles. Merricks kleine Laterne war nicht mehr die einzige Beleuchtung. Riesige, blau schimmernde Flechtenteppiche bedeckten die Wölbungen des Kalksteins wie feine Gobelins und erfüllten die verzweigten Risse mit weichem Licht. Überall war Wasser zu hören und Feuchtigkeit zu spüren. Für einen Augenblick stand der Prätendent reglos in der unerwarteten Schönheit seiner Umgebung: einer geheimen Welt, von deren Existenz ein Mann des Meeres nie hätte träumen können.
»Habt ihr von dem hier unten gewusst?«, fragte Raed leise, als sie sich umschauten.
»Nein.« Sorchas geflüsterte Antwort war nicht weit zu hören und wurde von dem gewaltigen Raum ohne Widerhall geschluckt.
Der gelehrtere Merrick wirkte genauso überrascht. »Ich habe nie auch nur ein Gerücht darüber gehört, aber der einheimische Orden muss diesen Ort gekannt haben; der Erzabt hätte den Treppenmechanismus nicht ohne Weiteres einbauen können. Nicht in völliger Geheimhaltung.«
Irgendwie klang die Art, wie er »einheimisch« sagte, unheilvoll in Raeds Ohren. Er wusste ebenso viel wie sie, wenn nicht mehr, über den Orden, der einst in den Sälen über ihnen residiert hatte. Seine Familie und Arkayms einheimischer Orden waren miteinander verflochten gewesen wie zwei Schlangen, hatten sich mal vereint und mal bekämpft. Die Diakone damals hatten genau wie die neuen Diakone behauptet, dem Wohl der Menschen des Kontinents zu dienen, waren dann aber korrupt geworden, und zwar nicht nur in politischer Hinsicht.
Ja, sie hatten sich in die Belange seiner Familie – der königlichen Linie – eingemischt, hatten aber auch mehr als das gewollt. Nur wenige wussten, wie tief dieser einheimische Orden gefallen war, doch er hütete sich davor, Sorcha und Merrick davon zu erzählen. Würde es für sie etwas ändern, zu wissen, dass ihre Vorgänger nach der ultimativen Macht gegriffen hatten? Vielleicht waren diese neuen Diakone nicht anders als die früheren.
Während Raed darüber nachsann, führte Sorcha sie tiefer in die Anlage, und ihre dunkle Gestalt war nur als Abwesenheit von Licht zwischen den schimmernden Flechten auszumachen. Merrick neben ihm blendete die Laterne ab. »Ich fürchte, wir müssen leise sein. Wenn die Entführer des Erzabts hören …« Merrick beendete den Gedanken nicht.
Raed war nicht ganz überzeugt, was diese »Entführer« betraf. Er hatte oben keine Spuren eines Kampfs gesehen, und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es nahezu unmöglich war, den mächtigsten Diakon des Kontinents aus seiner Mutterabtei verschwinden zu lassen.
Während die Diakone vor ihm leise dem feuchten Pfad folgten, begann sein Herz vor Angst und Erregung zu rasen. Der Rossin war jetzt sehr dicht unter der Oberfläche – noch nicht in der Lage zu erscheinen, aber so nah, dass er das tun konnte, was Raed so verstörte und hasste: Er flüsterte dem Prätendenten etwas zu.
Wir sollten sie töten. Ihr Blut würde so süß schmecken, wie ihr Schweiß es tat. Sie hat dich verraten.
Der starke Hass des Rossin auf die Diakone rief in Raed eine körperliche Reaktion hervor, die von Begehren nicht fern war. Diese primitiven Reflexe konnte die Bestie am leichtesten auslösen. Er versuchte, die Regung in seiner Kniehose genauso zu ignorieren wie das dunkle Flüstern, das damit einherging.
Wir könnten sie zerreißen und vielleicht ein wenig mit ihr spielen. Schließlich verdient sie es.
Die Bilder kamen und blitzten in seinem Kopf auf wie bunte Wandteppiche dessen, was der Rossin tun würde. Plötzlich brannte Raeds Haut in der eisigen Höhle wie Lava.
Wenn du sie diesmal berührst, brennt sie wirklich.
Der Rossin lachte verführerisch und zeigte ihm ein dazugehöriges Bild, furchteinflößend und erotisch zugleich. Sorchas rotes Haar würde aus Flammen bestehen, wenn sie an dem, was in ihm war, Feuer fing. Wenn er in sie eindrang, würde sie schreien …
»Raed?« Er stieß beinahe mit Merrick zusammen, der besorgt vor einer ansteigenden Biegung stehen geblieben war. Merrick runzelte die Stirn, und der Prätendent war sich kurz sicher, dass der Diakon den Rossin dicht bei ihnen lauern sah – schließlich war er ein Sensibler. Doch dann stellte er überrascht fest, dass Merrick fast schuldbewusst nach vorn zu Sorcha schaute.
Der Diakon zog den Kopf ein und senkte die Stimme. »Wenn es schiefgeht, Raed, hat Sorcha zwei Möglichkeiten … sie kann Teisyat öffnen oder den Rossin entfesseln.«
Oh, der
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