Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
junge Diakon richtete den Blick auf die immer noch rötlich leuchtenden Felsen. »Die Anderwelt ist nah, aber ich denke, wir sind sicher, solange wir nichts auslösen.«
»Also schön.« Raed kletterte aus der Stalaktitengrotte, stieg den Pfad hinab, der zu dem Teppich aus Teichen und Bächen führte, und ignorierte dabei nach Kräften den nahezu überwältigenden Drang zu fliehen.
Jede kleine Mulde war mit Wasser gefüllt und durch ein Netz von Rinnsalen mit den anderen verbunden. Es war ein großes Gebiet, dessen Ende Raed im rötlichen Licht der Felsen nicht erkennen konnte. Was er jedoch sah, ließ ihn schaudern. Statt die raue Höhlendecke über ihnen widerzuspiegeln, zeigte jede Wabe ein Bild. Die drei standen da und hatten ein Meer von Möglichkeiten im Blick.
Raed sah sein Gesicht: am Hof von Felstaad; neben Aachon am Steuer der
Herrschaft;
wie er Merrick und die feurige Diakonin aus dem Meer fischte. Er erkannte all diese Bilder, aber daneben waren andere, die genauso beunruhigend waren: der durch Felstaads Spiegelsäle tobende Rossin; die
Korsar,
die mit besessener Mannschaft Jagd auf die
Herrschaft
machte; schließlich das schaurige Bild, auf dem er den Leichnam einer rothaarigen Diakonin aus dem Wasser zog.
»Beim Blut, was ist das?«
»Das«, erwiderte Merrick mit einer Stimme, die an Ehrfurcht grenzte, »ist eine Möglichkeitsmatrix.«
»Eine was?«
»Der Gelehrte Abt Horris hat vor zwei Generationen vermutet, einige unberechenbare Fähigkeiten bei Diakonen – etwa die Voraussicht – könnten auf technischem Weg nachgebildet werden, als Modelle, um denen ohne Gabe zu helfen.«
»Was mein belesener Freund sagen will« – Sorcha schob die Hände in den Gürtel –, »ist Folgendes: Dies ist der Grund, warum wir von Anfang an verfolgt wurden.«
Merrick, der gerade noch blass vor Sorge gewesen war, kletterte jetzt wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal Gezeitentümpel entdeckt hat, an den Waben und Bächen herum. Er blickte mit großer Begeisterung in sie hinein, und Sorcha warf Raed ein schwaches Lächeln zu.
»Horris hat die Herstellung einer Matrix in der Theorie entwickelt, glaubte aber, die Hintergrundaktivitäten in der menschlichen Welt würden eine genaue Nutzung zur Vorhersage der Zukunft zu sehr erschweren.« Merrick breitete die Arme weit aus. »Ich frage mich …« Er sprang dorthin, wo die Höhlenwand mit beeindruckendem Schwung in die Höhe strebte. Der junge Diakon legte den Kopf schief.
»Macht er jetzt eine Doktorarbeit daraus?«, fragte Raed, der weit weniger erregt war, im Gegenteil: Je eher sie hier rauskämen, desto besser würde er sich fühlen.
»Gib ihm eine Minute«, murmelte Sorcha leise.
»Es ist der Fels selbst«, rief Merrick. Seine Lautstärke ließ Raed zusammenzucken. Das Echo hallte schier ewig wider, und dass erzürnte Diakone sich zu Hunderten auf sie stürzen könnten, schien nicht ganz abwegig. Aber der junge Mann kam – die Hände voll weißem Gesteinsstaub – zu ihnen gelaufen.
»Die natürliche Farbe ist weiß« – er rieb den Staub zwischen den Fingern –, »aber das Glühen kommt von einer anderen Flechtenart. Könnt Ihr erraten, wozu sie gut ist?«
Raed öffnete den Mund zu einer ziemlich bissigen Antwort, aber Sorcha zog an seiner Hand. »Wir haben keinen Schimmer. Sagt es uns doch einfach.« Erstaunlicherweise lag keinerlei Ironie in ihrer Stimme.
»Es ist eine Barriere, eine Barriere gegen Geistmacht.« Er wedelte aufgeregt mit der Hand. »Sie schützt diesen Ort vor Entdeckung. Schließlich sitzen wir auf der größten Fundgrube für Sensible auf dem Kontinent. Selbst wenn sie alle Teil einer Verschwörung wären, um die Matrix geheim zu halten …« Merrick hielt inne, um über diese schreckliche Vorstellung nachzudenken. »Selbst wenn es so ist, hätte ich etwas spüren sollen.«
»Ich fühle jetzt auch etwas.« Raed war sich sicher, dass die Schatten nun tiefer waren, und spürte ein Ziehen zwischen den Schulterblättern.
Sorcha nahm etwas Felsenstaub von den Fingerspitzen ihres Partners und ignorierte das Murren des Prätendenten. »Nun, das erklärt es … aber das ist furchtbar viel Aufwand nur für diese Matrix.« Sie hockte sich hin und betrachtete die Teiche genauer.
Raed wollte mit ihnen nicht das Geringste zu tun haben, aber sie waren nun schon so weit gekommen. Sorcha beugte sich so dicht übers Wasser, dass die losen Strähnen ihres kupferfarbenen Haars die gespannte Oberfläche zu durchbrechen
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