Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
Schwester, aber auf diese Entfernung war es unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. Die Menschen nahmen das jedoch begeistert auf.
Man konnte den Blick kaum von der schönen Großherzogin lassen – vor allem aus der Perspektive des Prätendenten nicht –, aber er schaute doch absichtlich wieder in die Menge. Die Männer des Ersten Garderegiments waren schwer zu übersehen; steif und der Masse halb zugewandt standen sie da und beobachteten Zofiya, doch es war klar, dass ihre Hauptsorge Kaiser Kaleva galt. Einige hatten die baufälligen Häuser rings um den Platz ins Visier gefasst – ein Schuss konnte schließlich von überall her kommen. Raed hatte ein Auge für gute Soldaten und wollte gerade wieder den Blick über die Menschen gleiten lassen, als ein Flackern seine Aufmerksamkeit erregte.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde erschien etwas an dem Gardisten auf der gegenüberliegenden Seite des Brunnens merkwürdig. Er stand rechts neben der Großherzogin. Durch die Verbindung sah Raed einen Lichtschimmer über seine Züge tanzen, der anscheinend von hoch oben kam und gleich darauf verschwand. Der Soldat war besessen.
Raed setzte sich durch die Menge in Bewegung und stürmte auf Zofiya zu, während der Rossin in seinem Kopf leise und böse lachte. Um die Großherzogin rechtzeitig zu erreichen, musste der Junge Prätendent die Macht des Rossin nutzen – und zugleich die Verwandlung nach besten Kräften zurückhalten. Das hatte er noch nie versucht, doch die Verbindung mit den Diakonen verlieh ihm größere Selbstbeherrschung. Die der Menge zugewandten Gardisten hatten kaum Zeit, sich umzudrehen, als er, noch zwischen Mensch und Bestie, über sie hinwegsprang. Die Verbindung hielt ihn zurück und ließ ihn an der Schwelle zur Verwandlung verharren, während der Prätendent seine ganze Willenskraft darauf richtete, die Großherzogin zu erreichen.
Aus dem Winkel eines tränenden Auges sah er den besessenen Gardisten seine Waffe heben und schießen. In Raeds Kopf brüllte die Bestie, während er sich auf die schlanke Gestalt der Herzogin warf.
Heißes Blei durchschlug Körper und Knochen, als sie rückwärts ins kalte Wasser des Brunnens stürzten. Der Rossin knurrte, zwischen Verwandlung und Verbindung gefangen, und seine Instinkte befahlen ihm, den Körper, in dem er so lange gelebt hatte, zusammenzuhalten. Er erhaschte einen Blick auf die Kaisergarde, die Kaleva – weisungsgemäß auf seine Sicherheit bedacht – schnell fortbrachte.
Das Wasser färbte sich augenblicklich rot. Zofiya und der aufheulende Prätendent sahen sich – in Überraschung und Schock gefangen – in die Augen. Die Schreie der Menge und die Rufe der Gardisten waren noch weit entfernt. Aber die Verwandlung war so nah … Vielleicht erfüllte sich der Wunsch des Unbesungenen ja doch, der Familie des Blenders Schaden zuzufügen.
Zofiya betrachtete das Blut, das den Brunnen mehr und mehr füllte, und begriff, dass es nicht ihr eigenes war. Man konnte sehen, wie es ihr dämmerte. Raed krümmte sich vor Schmerzen und den Härten der Verwandlung. »Fort, fort mit Euch!«, stieß er hervor.
Er schrie vor Schmerzen, als Zofiya ihn stattdessen aus dem Brunnen und auf den kalten Stein zog. »Raed Syndar Rossin.« Sie klang eher verwirrt als verängstigt. Zumindest würde seine fatale Tapferkeit eine passende Grabinschrift erhalten.
»Raed!« Sorchas Stimme war ganz nah. Seine Verwandlung ließ sich vor Schmerz kaum noch aufhalten, obwohl er sich größte Mühe gab.
Er war noch genug bei Bewusstsein, um das Grollen zu vernehmen. Unter dem Brunnen bewegte sich etwas; das Knallen klang wie Gewehrschüsse. Als die Menge begriff, dass hier mehr vorging als der Anschlag eines Wahnsinnigen auf die Großherzogin, hob das Schreien erst richtig an.
»Kaiserliche Hoheit.« Merricks Stimme war ruhig, als er hinter Sorcha erschien. »Bitte bringt Euch in Sicherheit.«
Zofiya wollte protestieren, aber schon umringte sie ihr Gefolge. Behandschuhte Hände zogen die Herzogin ungeachtet ihrer Einwände eilig davon, und ihre Wächter bildeten einen lebenden Schutzschild. Sie hatten ihre Befehle. Zofiya verschwand in einem Meer roter Uniformen.
»Es ist zu spät.« Nynnia befand sich außerhalb seines enger werdenden Blickfelds, aber ihre Stimme klang tieftraurig. »Ihr habt Euer Bestes gegeben, Sterblicher, aber es war zu spät. Es gibt keine Sicherheit mehr, für niemanden.«
Raed hustete Blut, als Sorcha ihn auf ihren Schoß zog. »Egal«,
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