Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
zu ihm und hielt Ausschau. Wirklich strömten viele Menschen Richtung Ziegelbrennerstraße; plötzlich waren sie umringt von eifrigen Lehrlingen, Müttern mit weinenden Kindern und Färbern, deren Hände voller Flecke in allen Regenbogenfarben waren. Der Kaiser und seine Schwester kamen aus dem Palast – kein alltägliches Ereignis.
Die Einweihung eines öffentlichen Brunnens hätte die Anwesenheit des Herrschers eigentlich nicht erfordert, aber nachdem ihn Geister vor allen Leuten angegriffen hatten, wollte er die Bürger wohl beruhigen, indem er mit der Großherzogin erschien.
»Bei den Knochen, ich muss eine rauchen«, stöhnte Sorcha und trauerte den Zigarren nach, die Merricks begeistertem Plan geopfert worden waren.
Wortlos griff Raed in seine Fährmannskleidung und zog zwei glatte braune Ilyrick Reserve aus der Tasche. Sorchas Lächeln war breit und absolut unpassend. Sie nahm die Zigarren mit leicht zitternden Händen, steckte eine in die Tasche und biss von der anderen das Ende ab. Das gute Stück hätte eine bessere Behandlung verdient, aber sie hatte einfach nicht die Zeit dafür. Raed zündete sie für sie an, und sie lehnte sich kurz zurück und sog den Rauch genüsslich ein. Schade, dass sie diese Zigarre nicht langsam auf einem Balkon genießen konnte, Raed neben sich und den Blick in die Sterne gerichtet. Einen solchen Augenblick würde es für sie beide wahrscheinlich nie geben.
Sorcha würde sich nehmen, was sie kriegen konnte.
Sie stieß sich von der Mauer ab und betrachtete Raed rauchend: ihre schöne Überraschung. »Nynnia, bringt Euren Vater von hier weg.« Sorcha verfiel in alte Gewohnheiten und erteilte Befehle. Sie zog die Kapuze ihrer Verkleidung hoch, machte eine auffordernde Armbewegung und sagte: »Wir anderen müssen zu einer Audienz.«
Ausnahmsweise einmal wandte sich die Mannschaft nicht an Raed. Selbst Aachon ging hinter ihr her, als sie sich unter die Menge mischten. Nynnia sprach mit Kyrix, und beide wirkten bekümmert. Als die anderen ein Stück vor ihr waren, blieb Sorcha zurück und wartete auf Nynnia. Sie wollte sie in der dichten Menschenmenge nicht verlieren.
Einmal nicht hingeschaut, mehr war nicht nötig. Als Sorcha wieder zu den beiden hinübersah, umarmte Nynnia ihren Vater ein letztes Mal. Sie merkte nicht, wie ein hünenhafter Mann, der eben noch wie alle anderen ausgesehen hatte, plötzlich vorschoss. Sorcha stürzte heran, konnte die beiden aber nicht rechtzeitig erreichen. Der Mann stieß Kyrix ein langes Messer unter den Brustkorb und drehte es brutal um. Lautlos sackte der alte Mann zu Boden.
Nynnia schrie auf, aber die Diakonin packte sie am Arm und zerrte sie in die Menge. Der Foki war bereits tot – der Angreifer hatte gewusst, was er tat. Ihr Feind, wer immer er war, musste etwas über die Natur der Frau erkannt haben, die in der Möglichkeitsmatrix fehlte.
Sorcha, die die benommene Nynnia hinter sich herzog, lief im Zickzack durch die Menge, um die Angreifer im Gedränge abzuschütteln. Ihr Herz raste, und ihre Gedanken überschlugen sich. Wie sollten sie bloß die Großherzogin vor jemandem retten, der immer einen Schritt vorausschauen konnte? Nicht einmal Garils Gabe war so präzise. Sie dachte immer noch über das Siegel des Kaisers auf dem Schriftrollenetui nach, mit dem alles begonnen hatte.
Kaum hatte sie die anderen eingeholt, drückte sie Nynnias Hand in die von Merrick. »Eure Liebste hat gerade auf recht unschöne Weise ihre Unverwundbarkeit verloren.«
Das Geschöpf reckte trotzig das Kinn vor. »Ich bin immer noch, was ich bin. Ihr braucht mich.« Sie mochte unter Schock stehen, weil sie ihres Foki beraubt worden war, aber sie strotzte vor Entschlossenheit.
Sorcha begann sich für Nynnia zu erwärmen. »Daran habe ich keinen Zweifel.«
»Wir sollten uns aufteilen«, meinte Raed, während sie mit der Menge vorwärtstrieben. »Dann sind wir weniger gut zu verfolgen und können besser in der Menge verschwinden.«
»Nicht wir drei«, zischte Merrick, der Nynnia immer noch fest an der Hand hielt. »Ihr und ich und Sorcha … wir miteinander Verbundenen … wir sollten zusammenbleiben.«
Sorcha dachte kurz nach. Obwohl ihr die Idee nicht gefiel, sich zu trennen, würden bei der Einweihung eine Menge Menschen sein, und da ihnen die Choreografie von Zofiyas Auftritt unbekannt war, würde es schwierig werden, sich an der idealen Stelle zu postieren, um sie zu beschützen. Außerdem würden die Attentäter zweifellos nach ihrer Gruppe
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