Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
über Nynnia auf, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihr in die Augen zu schauen. Größer als alle Katzen, die je auf Erden gewandelt waren, war ihr Fell gelbbraun und nicht schwarz wie das des Rossin, aber mit den Runen der Diakone gemustert – selbst mit der gefürchteten Teisyat. Ihre Augen flackerten in einem Funkenwirbel von Blau über Braun und Haselnuss zu Gold. Als der Weiße Palast um sie herum aus dem Boden stieß, war die Große Bestie furchtlos. Die Erde erzitterte, als die Knochen Pflastersteine und Häuser zerbrachen und alles, was die Menschheit gebaut hatte, mit Teilen dessen zerstörten, zu dem alle Menschen letztlich werden würden.
Die Bestie machte sich auf ihren gewaltigen Pfoten bereit und brüllte. Dies Brüllen verkündete ihre Überlegenheit und konnte es mit den Schreien der fliehenden Bevölkerung und dem Grollen des aufsteigenden Beinhauses aufnehmen. Selbst Nynnia zuckte davor zurück, und die Bestie war stolz. Sie war mehr als die Welt je gekannt hatte: eine Verschmelzung der königlichen Linie, des Geistes und der Diakone.
Und jetzt würde sie jagen. Der Friedhof, der Vermillion wie eine weiße Reihe aus Speeren durchsetzte, war nur ein Zeichen. Die Bestie knurrte, und lange, gebogene Reißzähne glitten über ihre Lippen. Sie witterte etwas dort unten, das tief in ihrem Hirn eine alte Feindschaft weckte. Etwas, das sie die Klauen in den bröckelnden Stein des Brunnens schlagen ließ.
Als Nynnia die Hand in das dichte Fell ihrer dunklen Mähne legte, riss die Bestie den Kopf herum, bereit, Nynnia zu töten. Auch sie roch nach diesem Feind; der Duft war schwächer und von der Hülle aus Menschenfleisch überlagert, aber definitiv vorhanden.
Obwohl die Bestie Furcht in ihren Teilen bemerkte, war sie von Stolz und Macht erfüllt. Was immer sich da unten befand, war Beute und verdiente den Tod. Obwohl die Frau an ihrer Seite zumindest teilweise der Feind war, schützte ihre menschliche Gestalt sie vor dem Zorn der Bestie. Das Tier tolerierte sogar die Hand der Frau in seiner Mähne, und zwar nicht, weil der Sensible in ihm die Berührung genoss, ganz sicher nicht – kein Mensch konnte die Bestie beeinflussen.
»Komm«, sagte die Frau und trat vom zerstörten Podest in den Staub der Knochen. »Die Murashew wartet.«
Die Bestie und die Frau bahnten sich einen Weg die Treppe in den Weißen Palast hinab, der von unheimlicher Schönheit war. Zu beiden Seiten stapelten sich Skelette, Mauern bestanden aus Schenkelknochen und waren mit eingeschlagenen Totenschädeln bekrönt. All diese Knochen waren alt und rochen nach Staub.
Mit Schulterblättern, deren Bewegungen an Sensenschwünge denken ließen, streifte die Bestie das gewölbte Dach, als sie den Kopf witternd von einer Seite zur anderen wendete. Hier waren Menschen gewesen, Menschen, die ein Teil der Bestie erkannte. Diakone waren hier entlanggegangen, die nach altem Mann und Weihrauch rochen. Ein Brummen kam aus der gewaltigen Brust.
Die Bestie sah in der Dunkelheit besser als eine Katze und gewahrte jetzt vor sich ein Licht. Ihre wirbelnden Augen verengten sich zu Schlitzen, und das Rumoren in ihrer Brust drohte zu einem Knurren zu werden. Der Rossin-Kern erkannte das Licht und war verzückt.
Das Licht der Anderwelt – zu Hause!
Doch die Diakone in ihm und der ungekrönte König waren vorsichtig. Etwas war bereits in diese Welt eingebrochen.
Die Frau ließ die Hand aus der Mähne der Bestie gleiten, und das Tier blieb stehen, um sie anzusehen. »Du musst vorgehen«, sagte sie leise. »Ich muss nah an die Murashew herankommen, ohne dass sie mich sieht.« Im Halbdunkel schien ein Glühen von ihr auszugehen, das sogar durch die Hülle menschlichen Fleisches drang.
Es machte der Bestie nichts aus, obwohl der Strang des Sensiblen tief in ihrem Innern verwirrt war. Die Kreatur tappte auf lautlosen Samtpfoten durch einstmals säuberlich aufgereihte Knochen und Schädel.
Was immer gerade passiert war, hatte diesen Teil des Weißen Palasts durcheinandergebracht. Haufenweise lagen alte Skelette herum, und die Bestie kam nicht umhin, einige zu zertreten, als sie sich dem Licht näherte. Doch sie sah nicht hinab, sondern ihre Augen blieben auf das geheftet, was vor ihr lag. Eine Tür musste geöffnet worden sein, denn dieser Raum des Weißen Palasts war voller Schatten, und Nebelschwaden schwebten um die Lichtquelle wie unheimliche Motten.
Die Murashew war bereits da. Die Geistherrin, die keine Geistherrin war. Die eine
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