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Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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Seemannskiste zu öffnen. Sie versuchte, möglichst unauffällig den Kopf zu recken, aber er nahm nur ein sauberes Hemd heraus, entblößte den Oberkörper und ignorierte sie dabei vollkommen.
    Hätte Sorcha es nicht besser gewusst, dann hätte sie geschworen, er versuchte sie abzulenken. Das Spiel seiner Rückenmuskeln war zweifellos beeindruckend, aber die Tatsache blieb: Dieser Mann war das brennende Licht und würde allerorten sehr große und sehr gefährliche Motten anziehen. Sie krampfte die Finger um die Armlehne und rief sich ins Gedächtnis, dass ihre Reaktion eine Folge des Fluchs war.
    Als er sich plötzlich umdrehte, wandte Sorcha den Blick ab – hoffentlich schnell genug. »Ich weiß Eure Talente zu schätzen, Diakonin Faris« – seine Stimme war sanfter –, »aber ich bin immer noch der Kapitän dieses Schiffs. Und solange wir uns auf meinem Schiff befinden, wäre ich dankbar, wenn Ihr mir wenigstens die übliche Höflichkeit eines Gastes gegenüber seinem Gastgeber erweisen würdet.«
    Sorcha verzog den Mund. »Ihr seid ein Gastgeber, der sich jeden Moment in eine wilde Bestie verwandeln kann.«
    Raeds haselnussbraune Augen spiegelten kurz das Licht der untergehenden Sonne. »Und Ihr tätet gut daran, das in Zukunft nicht zu vergessen«, knurrte er gespannt wie eine Sprungfeder.
    Sorchas Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Haut kribbelte, als wäre ein Geist zugegen. Sie hätte aufspringen und ihre Handschuhe überstreifen mögen, aber ein rasches Ausfahren ihres Zentrums offenbarte nichts als die flammende Gegenwart des Prätendenten.
    Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl ihr Mund trocken war und das Verlangen, Macht auszuüben, ihre Hände zum Zittern brachte. Stattdessen erlaubte sie ihm etwas, das sie selten gestattete: Sie ließ ihm das letzte Wort. Er stürmte aus seiner Kajüte, und mit ihm verschwand zum Glück auch seine verstörende Präsenz.
    Während der nächsten zwei Tage beherzigte Sorcha Merricks Rat und blieb in der Kabine. Selbst Nynnia war eine bessere Gesellschaft als der Kapitän. Merrick jedoch wagte sich nur selten unter Deck. Ihr Partner hatte es übernommen, das Meer auf weitere Aktivität der Unlebenden zu überwachen. Durch die Verbindung spürte Sorcha seine Schuldgefühle darüber, das Meeresungeheuer, das sie in diese Lage gebracht hatte, nicht entdeckt zu haben. Er stürzte sich in seine Aufgabe und schlief nur dann eine Runde auf dem Achterdeck, wenn die Erschöpfung ihn in die Knie zwang.
    Wenn er schlief, wagte Sorcha sich an Deck, breitete ihren Umhang über ihn und übernahm seine Pflichten, so gut sie es mit ihrer Sicht vermochte. Die Mannschaft schien Trost daraus zu schöpfen, dass zwei Diakone an Bord waren. Nach dem ersten Schrecken begannen die Seeleute, die Vorteile zu sehen, und zeigten ihren Passagieren den gebührenden Respekt.
    Auch die Zuchtpferde schienen sie zu faszinieren. Der Hengst und die Stute befanden sich zusammen mit zwei Ziegen und einem Hühnerkäfig im engen Frachtraum. Sorcha besuchte sie und stieß auf zwei Besatzungsmitglieder, die die Tiere versorgten. Einer striegelte sorgfältig die Stute, während ein schmächtiges junges Mädchen Shedryi mit Zuckerstücken fütterte. Der alte Teufel verdrehte ein Auge, als wäre es ihm peinlich, nahm jedoch den letzten Zucker wie das Pony eines Kindes.
    Abgesehen davon, dass sie über Merrick wachte, war Sorcha auf dem Schiff so gut wie nutzlos. Das war sie zwar schon auf dem ersten Schiff gewesen, doch hier war es anders. Der Prätendent beobachtete sie, kam jedoch nicht auf sie zu, vermutlich, weil er noch immer über ihren kleinen Ausrutscher verärgert war. Sie war froh, als die zerklüftete Küstenlinie in hügelige Tundra überging und Ulrich in Sicht kam.
    Sorcha mischte sich in das Gedränge an Deck und stellte fest, dass Ulrich so trostlos war wie befürchtet. Sie hatte viele kleine Städte wie diese gesehen, die sich am Rand des Reichs duckten und dem Meer ihren Lebensunterhalt abtrotzten. Der Ort lag nah am Wasser und war grau, und für ihn sprachen einzig der tiefe Hafen und der Pier, der ins düstere Meer ragte. Zur Rechten des Landungsstegs setzte ein langer Sandstrand die Halbmondform der Bucht fort.
    Die Erleichterung der Mannschaft ringsum war mit Händen zu greifen. Merrick schob sich an den Seeleuten vorbei und stellte sich neben Sorcha. »Ich war noch nie so froh, Land zu sehen.« Er rieb sich erschöpft die Augen, unter denen dunkle Ringe lagen, und lehnte sich an die

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