Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
etwas wie einen Schlag. Der Junge wurde entschieden zu frech, wenn man bedachte, wie lange sie einander kannten. Eine Rettung, und plötzlich hatte er das Sagen. Sie biss mürrisch knurrend die Zähne zusammen.
»Wir sollten uns zum Kloster aufmachen«, blaffte sie, griff nach dem Zügel des Hengstes und klopfte ihm den hohen, gewölbten Hals. Raed stand einige Schritte entfernt und erteilte seinen Matrosen Anweisungen. »Ihr seid auch gemeint, Hoheit.«
Ein Muskel zuckte unter dem schmalen Streifen seines kurzen Barts. »Ich muss mich um meine Pflichten kümmern.«
»Gewiss. Aber wir müssen unsere Ankunft melden«, erwiderte sie honigsüß. »Und daher wird Euer Geisterschutz außer Reichweite sein. Ist Euch das recht?«
Sie fand seinen verärgerten Blick sehr befriedigend. Er konnte jedoch nichts machen; entweder widersetzte er sich und war den Unlebenden ausgesetzt, oder er ging mit wie die Pferde.
Sorcha lenkte Shedryi hügelan zu dem beeindruckenden Kloster und ging durch die Stadt voran, ohne den wütenden Blick des Prätendenten zu beachten. Merrick blieb zurück und sprach immer noch mit Nynnia. Bis auf die hoch aufragende Burg war der Ort unscheinbar. Graue, geduckte Steinhäuschen ließen ahnen, wie düster die Stadt im Winter war. Überall waren Netze aufgespannt, und vermutlich war die Fangflotte draußen, was das Fehlen anderer Schiffe im Hafen erklärte. Nur ein paar in dicke Wolle oder Ölzeug gehüllte Bürger waren unterwegs.
Sorcha und Merrick waren durch ihre Umhänge und die Pferde als Diakone zu erkennen, und so folgten ihnen die Blicke, aber etwas daran war sonderbar. In jeder von Unlebenden geplagten Stadt waren die Ordensmitglieder bisher wie Helden und Befreier begrüßt worden. Es war normal, dass die Menschen sich über die Ankunft von Diakonen freuten, die ihre lästigen Probleme mit den Unlebenden behoben.
Die Bewohner von Ulrich hingegen schienen regelrecht zurückzuzucken. Niemand kam auf die Diakone zugelaufen und drückte ihnen ein schreiendes Kind mit der Bitte in die Hand, es zu beschützen. Nicht ein Einziger klammerte sich an ihre Umhänge und flehte um Erlösung. Ein alter Mann, der vor seinem Haus saß und ein Netz flickte, sah Sorcha sogar böse an, ließ seine Nadel fallen und eilte ins Haus.
»Ich bekomme langsam das Gefühl, dass wir nicht die beliebtesten Neuankömmlinge sind «, flüsterte Sorcha ihrem Partner zu. »Könnt Ihr etwas sehen?«
Merrick holte sie ein, sodass die Pferde sie beide gegen neugierige Blicke abschirmten. Beeindruckenderweise konnte selbst sie ihm nicht ansehen, wann er sein Zentrum benutzte.
»Nichts«, flüsterte er kurz darauf zurück. »Jedenfalls nichts Unlebendes. Dieser Ort stinkt nach Zorn, nicht nach Furcht. Und der Zorn richtet sich gegen uns.«
»Undankbare Idioten«, brummte Sorcha.
»Und ich dachte, Diakone würden für gewöhnlich begeisterter begrüßt.« Der Prätendent hatte sich nach vorn durchgedrängt, und sein selbstgefälliger Ton machte Sorcha noch unglücklicher über die Situation. Raed ging zwischen den Diakonen und legte jedem einen Arm um die Schulter, als wären sie Kameraden. »Was genau führt ihr vom Orden im Schilde?«
Sorcha versuchte erfolglos, seinen Arm abzuschütteln, denn Shedryi war wieder etwas zu Kräften gekommen und tänzelte. Raeds Berührung steigerte nur ihre Empfänglichkeit für sein seltsames Geistcharisma. »Sie sind wahrscheinlich nur darüber verärgert, dass ihnen die hiesigen Diakone nicht helfen konnten. Sobald die Situation geklärt ist, werden sie für uns eine Parade abhalten.«
Raed schaute sich mit skeptisch gezückten Brauen um. »Dagegen würde ich wetten.« Er räusperte sich, als gefiele ihm sein Scherz. »Oder wetten Diakone nicht?«
Sorcha sah ihn an und spürte seinen unverrückbaren Arm ihren Hals kitzeln. »Doch, durchaus. Diakone können tun und lassen, was sie wollen, können trinken, huren, rauchen. Wir haben vor Jahrhunderten sämtliche Hemmungen abgelegt, zusammen mit der Religion.«
»Tatsächlich?« Raeds Grinsen wurde breiter. »Ihr habt also beschlossen, dass die Götter nicht existieren?«
Sorcha hatte keine Lust, ihm eine Geschichtsstunde zu erteilen. »Es gibt jede Menge geistliche Orden in Delmaire. Unserer hat beschlossen, die Welt vor den Unlebenden zu schützen.« Sie stieß seine Hand von der Schulter, und ihr wütender Blick deutete an, dass er sie dort besser nicht wieder hinlegen sollte. »Euer heimisches Götterpantheon hat Euch nicht gerade
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