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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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nichts gesagt, weil sie ihm nichts Böses wollten. Nur, wenn er den Jungen getötet hätte, hätten sie geredet.«
    Ganz langsam dämmerte Maria, von wem die alte Frau sprach.
    »Herrin, er hat sich oft mit der weisen Frau getroffen, die wir hier alle sehr verehren. Sie weiß alles über die Kräuter und Pflanzen, und sie deutet die Runen, Ihr versteht?«
    ›Eine Hexe‹, fuhr es Maria durch den Kopf. ›Er trifft sich mit einer Hexe.‹
    »Allmächtiger«, stieß sie hervor. »Wenn das jemand erfährt, ist er ein toter Mann.«
    Die Alte nickte. »Ja, aber es zog ihn hin zu ihr, weil er die alte Zeit nicht vergessen hat. Und sie vertraut ihm.«
    Maria packte Katharinas Hand. »Hat er den Jungen befreit?«
    Katharina zog sanft ihre Hand zurück und stand auf. »Vielleicht. Kommt, laßt uns gehen.«
    Hinter den Mauern der Burg erstreckte sich trockenes, staubiges Heideland bis zum Wald. Der Bach war ausgetrocknet. Die Büsche trugen Brombeerblüten und erste, noch unreife Früchte, Schlangen huschten durch den Sand. Eidechsen sonnten sich auf Baumstämmen, die der Sturm gefällt hatte. Nur hier und da eine Kiefer, ein Ginster und mittendrin ein Garten mit einem Lattenzaun umgeben als Schutz gegen Kaninchen und Füchse. Die Rosen waren verwelkt, die Minze blühte und duftete fein. Der Eisenhut bildete giftige Knospen. Lerchen trudelten in der Luft, ein Falke zog träge seine Kreise. Aber keine Menschenseele in der Nähe.
    »Sie wird kommen«, sagte die Sächsin. Sie öffnete das Gatter und ging durch den Garten. Dahinter beschatteten Kiefern einen kleinen Flußlauf, dessen silbriges Wasser über Steine und Kiesel hüpfte.
    Maria setzte sich auf einen Stein am Ufer und starrte in das fließende Silber. Warum lieferten sie sich ihr aus? Sie könnte den Iren verraten und diese weise Frau, für deren Treiben dieser Ort ein Beweis war. Ja, das hier, dieser seltsame Garten mit seinen silbergrünen Pflanzen und dieser verwunschene Bach, das war ein Platz für Hexen, die sich noch auf die Kunst des Runenlegens verstanden. »Warum weihst du mich in euer Geheimnis ein?« fragte sie verwirrt. »Ich will es nicht wissen.«
    Katharina nickte. »Er hat den Jungen befreit. Wir wissen es alle, bis auf Custodis und die Herren, die Franken, die fremd hier sind und es immer bleiben werden, auch wenn sie hundert Jahre hier leben. Dies ist Sachsenland. Erst hat er ihn halbtot geschlagen, und dann hat er ihn befreit, und die weise Frau hat es veranlaßt, weil er zu uns gehört, der Junge. Versteht Ihr jetzt?«
    Maria sagte nichts. Das säuselnde, trudelnde Wasser hielt ihre Augen fest, zog sie tiefer und tiefer hinunter auf den Grund, der wie zerbrochnes, verzerrtes Glas aussah. Sie konnte die Augen nicht abwenden, starrte wie in Trance in ihr eigenes Gesicht, verzerrt, zerbrochen.
    Eine alte Frau stand hinter ihr. Ihr lächelndes Gesicht runzelig, ihr brauner Mantel mit weißem Fell gefüttert. Katzenfell, von heiligen weißen Katzen. Überall an dem Mantel hingen kleine Steine, und auf der Brust trug sie an einer Kette ebenfalls einen Stein, in den das Symbol der heiligen Birke geritzt war.
    »Aus dem Wasser kommt man, und dahin geht man wieder zurück«, sagte die Alte achselzuckend. »Auch wenn man keine Hexe ist. Wasser und Feuer, Luft und Erde, aber Wasser ist am stärksten von allen.«
    Sie musterte Maria aus hellen blauen Augen. Ja, die war ein Gotteskind, unschuldig und leer, und doch spürte Sigrun die unbändige Kraft hinter dieser Fassade bigotter Demut. »Ich bin Sigrun, die letzte Runenmeisterin der Sachsen. Und Ihr tragt den Namen der Himmelsmutter, wie ich gehört habe. Sind sie fort?«
    Maria nickte. »Sie suchen den Jungen.«
    »Ja, aber sie werden ihn nicht finden. Und er? Ist er bei ihnen?«
    »Wer?«
    »Der Ire.«
    »Er ist bei ihnen.«
    »Gut. Und nun zu Euch, edle Dame. Ihr wundert Euch sicher darüber, daß ich Euch kennenlernen wollte. Ich sah es im Spiegel. Ihr seid eine Christin. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden …« Sie lachte, ein helles, fast kindliches Lachen, und setzte sich neben Maria auf den Stein.
    »Zuweilen sitze ich am Wasser, so wie Ihr jetzt, und sehe Dinge, die mir zeigen, was sein wird. Mal stimmt es, mal stimmt es nicht. Manchmal erfüllt es sich auch erst später. Das ist keine Hexerei, mein Kind, das ist eine menschliche Gabe, die in früheren Zeiten sehr gefragt war. Ich brauche keine Schafsleber dafür wie andere, auch keine zuckenden Eingeweide. Mir reicht ein kleiner Flußlauf, so

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