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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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scheint eine kämpferische Natur zu sein, aber sie weiß selbst nicht, wie stark sie ist. Sie hat einen Menschen verloren, den sie geliebt hat, und ringt immer noch um ihr Gleichgewicht. Da sind zu viele Schatten, die das Bild verdunkeln. Nehmt Euch in acht vor dieser Frau, Ire, sie hat Gesichter, von denen sie selbst nichts weiß. Eines davon ist T EIWAZ , ein anderes offenbaren mir die Zahlen auf den Stäben. Eure Herrin ist wie gärender Alkohol in einer verschlossenen Flasche – wenn man sie öffnet, entlädt sich der Druck nach außen. Läßt man sie verschlossen, ist man zwar sicher, aber nur so lange, bis der Druck selbst schließlich das Glas zu Platzen bringt. Ich kenne Eure Herrin nicht, Ire, aber ich würde sie gerne kennenlernen.«
    »Das wird wohl kaum möglich sein«, murmelte der Ire, dem bei Sigruns Worten ein leichter Schauder über den Rücken lief.
    Die Runenmeisterin lächelte. »Oh, mir ist alles möglich, junger Mann. Füllt den Stein mit Eurer Energie, laßt Eure Kraft hindurchziehen.«
    Er sah in seine Hand. Dort lag noch immer der Stein, warm und glatt. Er schloß die Finger. Er erinnerte sich an die zwölf magischen Kieselsteine in seiner Heimat und an den heiligen blauen Stein, den ihm der Großvater geschenkt hatte. Das war lange her. Doch plötzlich überfielen ihn die Bilder der Vergangenheit so mächtig, daß ihm heiß wurde.
    Der Großvater hatte am Strand gesessen. Ein Meer unter dunklen Wolken. »Soll ich dir den Zauber zeigen, wie der Nebel kommt?«
    Wie lautete der Zauber des Wirkens noch? Cai Tuam erinnerte sich auch daran.
    »Dreimal gewirkt an diesem Ort,
Dreimal gereinigt in deinem Feuer,
Dreimal gesegnet in deinem Tanze.«
    Er murmelte es vor sich hin, wieder und wieder, und der Stein in seiner Hand wurde kalt. Verdichtete Energie, verdunstetes Wasser. Man konnte den Nebel anrufen. Aber er hatte die Kraft der Konzentration verloren. Er hatte zuviel Blut vergossen. Er konnte sich nicht mehr sammeln, so wie damals, bevor er zum Soldat geworden war. Konzentration so hart wie Stein, so still wie das Nichts, von dem die Scholastiker und Mystiker endlos sprachen und über das es doch nichts zu sprechen gab.
    Er war über den niederen Grad eines Novizen nie hinausgekommen, obwohl er die Fähigkeit besessen hatte, ein ganz Großer zu werden. Er hatte die Karten der Sterne beherrscht, die Magie der Pflanzen, er konnte mit den tödlichen Pilzen umgehen, die die Sinne berauschten, und er hatte die Kunst der völligen Enthaltsamkeit beherrscht, damit seine Energien nicht zerstört würden durch die Entladungen des Leibes. Er wußte, er war ein Wiedergeborener, einer, der schon einmal gelebt hat, und auch sein Großvater war so einer gewesen. Und natürlich auch diese Frau, die ihm da gegenübersaß und ihn lächelnd beobachtete. Sie hätten auch ohne Worte miteinander sprechen können.
    »Wärt Ihr ein guter Priester geworden, Ire?«
    »Vielleicht«, erwiderte er ausweichend. »Aber ich habe nie das Orakel befragt.«
    »Ich lese nur die Botschaft der Steine und Stäbe. Das Orakel irrt nie. Wenn es nicht zutrifft, dann war es ganz allein mein Fehler. Dann habe ich die falsche Ebene befragt, das verkehrte Zentrum. Oder ich ziehe die falschen Schlüsse, stelle verkehrte Bezüge her. Aber was ich sah, war eine mächtige Kraft, die unterdrückt wird. Würde ich Euch mehr sagen, es wäre nicht recht von mir, denn es würde Euren freien Willen einschränken. Nicht immer ist alles, was man sieht, wert, es mitzuteilen, manchmal ist es sogar gefährlich. Darum sage ich Euch nicht mehr. Und jetzt, Cai, geht nach Hause, bevor Euch jemand bei mir sucht.«
    Der Ire stand auf und wollte ihr eine Münze in die Hand drücken, aber sie lehnte ab. »Ich freue mich, wenn du kommst, und es ehrt mich, wenn du meine Kunst in Anspruch nimmst. Ich weiß, daß du das glauben wirst, was ich dir gesagt habe, denn du stammst aus dem vergessenen Volk, das einst die besten Seher dieser Erde besaß.«
    Er drückte ihr die warme, faltige Hand. »Ich weiß nicht, wen die Herrin verloren haben könnte, aber ich bin gewiß, daß du nicht irrst. Könnte es auch ihre Mutter gewesen sein?«
    Sigrun lachte leise. »Möglich, aber das glaube ich nicht. Diese Liebe, um die sie trauert, war von anderer Art. Ihre Mutter beschäftigte übrigens eine Hebamme, die in dem Ruf stand, Kinder mit Zaubersprüchen zur Welt zu bringen und sie selbst gebar ihre eigenen Kinder auf diese Weise. Das weiß ich von den Leuten, die zuviel

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