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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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fragte er gequält, »wenn um mich herum der Wahnsinn ausgebrochen ist?«
    »Ihr könnt niemandem helfen, wenn Ihr selbst krank werdet.«
    »Was macht das schon noch?« Teilnahmslos drehte er sich um. Seine Kleidung stank nach den Ausdünstungen der Menschen, die hier eingepfercht waren wie Schweine in einem Stall. Er stieg die Treppe zu einer Kammer hinauf, die Raupach ihm zugewiesen hatte, und Rosalie sah ihn den ganzen Tag nicht mehr. Am Abend öffnete sie die Tür und sah nach ihm. Er schlief. Das Feuer in seiner Kammer war ausgegangen. Rosalie legte Holz nach und entfachte eine neue Flamme.
    Zwei Tage später setzte Tauwetter ein. Die Sonne glitzerte auf dem schmelzenden Schnee, und von den Dächern tropfte das Wasser. Sie rissen die Türen auf und ließen frische, milde Luft in die Halle. Der einbeinige Musikant hatte plötzlich seine Laute in der Hand und sang ein Loblied auf den Frühling. Vom grünen Gras und den schwatzenden Vögeln …
    Cai ritt mit den Soldaten in den Wald, um Fleisch zu besorgen. Sie kamen am späten Nachmittag mit einem erlegten Hirsch zurück. Der briet am Abend über dem Feuer, wurde in winzige Stücke zerlegt und verteilt. Es war wenig genug, doch die Aussicht, daß sich das Wetter bessern würde, stimmte die Menschen glücklich. Draußen taute es weiter. Vollmond war vorüber. Das Wetter würde sich halten.
    Im März heiratete Raupach Gundeline von Langenfeld. Er hatte sich von den Entbehrungen des Winters anscheinend erholt. Sie war groß und blond und jung. Sie war das Ebenbild seiner Tochter. Eine Kindsbraut. Im Dom von Braunschweig ließen sie sich trauen. Vor der Kirchentür lärmte das Volk, denn es gab Bier und Wein und Fleisch umsonst. Der Bischof las aus dem Hohelied Salomons und den Galaterbriefen. Die Kerzen flackerten, und vor dem schweren, breiten Kreuz stand die Kindsbraut und hauchte ihr Jawort.
    Berthold döste vor sich hin. Maria saß da wie eine Göttin in einem schwarzen Zobelmantel. Der Stellvertreter des Kaisers, ein Bayer, rieb sich die schmerzenden Knie und kraulte sich den Bart. Cai Tuam kniete regungslos und hielt den Kopf gesenkt. Sein flaschengrüner Umhang fiel auf den Teppich. Er kniete da wie ein Kind, demütig und ergeben.
    Nach dem Gottesdienst wurden sie ins Rathaus geladen. Dort war eine lange Tafel mit Wildbret und Kuchen gedeckt. Höflinge in auffallend schrillen Kostümen huschten umher, die Mädchen servierten auf vergoldeten Platten, und der Bayer erzählte Anekdoten aus dem Krieg in Italien. Nach dem Essen wurde zum Tanz aufgespielt.
    Der Ire, obwohl Soldat, war als Arzt eines Herren zum Essen geladen, wollte aber hier nicht bleiben. Er trat auf den Flur und fand dort Rosalie, die bei den Zofen der Herrin Maria stand. Er raunte ihr zu, ihm würde schlecht von so viel Adel und Würde, und er wolle lieber hinaus auf die Straße. So schlichen sich die beiden heimlich nach draußen und gerieten in die verrückte Welt eines weinseligen Volkes, das mit nackten Füßen auf den Straßen herumtollte. Cai kaufte Rosalie ein paar Ohrringe bei einem finster aussehenden Russen, der kein Wort Deutsch sprach, und lud sie ein in eine Schenke, wo sie heiße Milch tranken und Pfannkuchen mit Heidelbeeren aßen.
    Rosalie war glücklich. Auch der Ire schien guter Dinge zu sein, neckte sie und lachte, und sie merkte, wie ähnlich sie sich waren. Sie waren beide Außenseiter, Heilkundige, und lebten mit dem Wissen der alten untergehenden Zeit.
    Arm in Arm zogen sie durch die Straßen der Stadt. Sie waren so selbstvergessen in dem ausgelassenen Trubel, daß die Nacht sie überraschte. In dem Wirtshaus ›Zum Ochsen‹ aßen sie zu Abend, hörten einem jungen Studenten zu, der Horaz deklamierte und dafür mit Brotstücken belohnt wurde, die ihm an den Kopf flogen, und Cai tanzte mit der Tochter des Wirts. Die Glocken schlugen zur Nacht. Cai sagte, was kostet die Welt, und warf einem Bettler zwei Münzen zu. Als sie endlich das Stadthaus erreichten, in dem Maria mit ihren Frauen untergebracht war, war es Nacht und die Tür verschlossen und verriegelt.
    »Gott, steh mir bei«, flüsterte Rosalie, »sie wird wütend sein und mich schelten, wenn ich nicht in meinem Bett liege.«
    »Ich werde dich mitnehmen müssen«, sagte der Ire und deutete auf die Pferdestallungen, wo die Soldaten schliefen. Und da Rosalie nicht wußte, wo sie sonst hätte bleiben können, ging sie mit ihm.
    Sie betraten schmale, lange Gänge, in denen es nach Heu und Leder roch. An den Wänden waren

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