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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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wollte, für einen Mann, den man auf der Heide erschossen hatte? Im letzten Dämmerlicht sah sie den Iren auf der Brüstung stehen. Er stand an einen Pfeiler gelehnt, die Hände in den tiefen Taschen seines Mantels vergraben. Die Fackel in der Halterung brannte noch nicht. Es war besser, so spät und so wenig Licht wie möglich zu machen. Der Wind wehte heftig hier oben, zerrte an Marias Haube und ihrem Mantel.
    »Das wird eine lange Nacht, Herrin«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
    »Wer sollte schon kommen?« fragte sie scherzend.
    Er zuckte mit den Schultern. Fragte sie nicht einmal, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, hier heraufzusteigen.
    »Warum habt Ihr mich glauben lassen, Ihr hättet den Offizier ermordet?« fragte sie und hielt mit den Händen den Mantel fest, der im Wind flatterte.
    Er antwortete nicht, dachte an den Krieg und daran, daß es gut wäre, von hier zu verschwinden.
    »Was macht man die ganze Zeit, wenn man nicht schlafen darf?« fragte sie.
    »Man denkt nach«, antwortete er träge, »im Moment überlege ich, was Ihr von mir wollt?«
    »Schützt Ihr Berthold?«
    Er drehte ihr das Gesicht zu. »Schert das noch jemanden?«
    »Ja, mich.«
    Warum, fragte er sich. Warum interessierte sie sich so brennend für den Mörder Monreals? Ihre Beharrlichkeit wurde ihm allmählich unheimlich. Er beobachtete sie jetzt ganz genau. Wie sie sich der Brüstung näherte, um hinabzuschauen. Selbst im Zwielicht konnte er ihr Gesicht sehen, das von einer unnatürlichen Röte übergossen war. Ihre Bewegungen wirkten fahrig, als sie sich jetzt über die Brüstung beugte, die ihr bis zur Hüfte reichte.
    »Silbernes Wasser«, hörte er sie murmeln, »es ist wie damals, als ich in den Bach blickte …«
    Ihre Hand fuhr zum Kopf. Im selben Augenblick verlor sie das Gleichgewicht. Achtzig Fuß ging es da hinab in steilem Fall, und im letzten Moment packte er sie an den Armen und riß sie ins Leben zurück.
    »Schweißfieber«, stellte er fest.
    Sie hatten die Herrin in drei Decken eingewickelt und ihr heiße Steine ins Bett gelegt. Sie phantasierte, und ihr Leib dünstete so viel Feuchtigkeit aus, daß die Frauen bald keine trockenen Tücher mehr hatten.
    Berthold saß auf einem Schemel am Fenster, den Kopf unter den Armen vergraben. Die Nacht schlich dahin, pechschwarz und lautlos. Nur im Kamin loderte knackend ein Feuer trotz der Hitze. Cai stand vor dem Bett und starrte auf Maria herunter. Er konnte nichts mehr tun. Er hatte ihr Weidenrindenabsud gegeben. Vielleicht würde ein Wortzauber helfen, ging es ihm durch den Kopf. Doch sein Herr hielt nichts davon, der wurde immer gläubiger und christlicher.
    »Was wollte sie da oben?« fragte Berthold und legte seine Hand auf Marias Stirn. Sie schien zu glühen wie die Scheite im Kamin.
    »Sie ist besessen von der Frage, wer Monreal umgebracht hat«, antwortete der Ire geistesabwesend.
    »Und warum kommt sie dann zu Euch?«
    Cai drehte sich um. »Sie dachte, ich sei der Mörder. Als dann der Pilger von jemandem mit roten Haaren sprach, verstand sie, daß ich es nicht gewesen sein kann. Aber warum beschäftigt sie das so?«
    Ihm ging diese Frage nicht mehr aus dem Kopf. Und dann fiel ihm Sigrun ein, Sigrun, die die Runen gelegt hatte. Sie hatte von jemandem gesprochen, den Maria verloren hatte und um den sie trauerte. Plötzlich schoß die Erkenntnis wie ein Blitz in sein Bewußtsein. Es gab nur eine Erklärung für Marias zwanghaften Drang, den Namen des Mörders zu erfahren. Und das war Monreal selbst. Monreal. Was war mit Monreal?
    Cai Tuam war verwirrt. Warum war ihm das nicht früher eingefallen? Wie hatte er nur so blind sein können? Monreal war des Rätsels Lösung. Aber Berthold hatte eine Jungfrau geheiratet. Andernfalls hätte er seine Angetraute wieder zurückschicken können. Kein Mann brauchte sich mit gebrauchter Ware zufriedenzugeben. Aber es gab ja auch andere Möglichkeiten, seine Gelüste zu befriedigen.
    Als der Tag zu dämmern begann, schickte der Ire seinen Herrn kurzerhand aus der Kammer und setzte sich selbst an Marias Bett. Er trocknete ihr die schweißnasse Stirn. Er hatte Mantel und Hemd ausgezogen, denn das Feuer mußte geschürt werden und sengte ihm fast die Haut von den Knochen.
    Er schlief nicht richtig. Mit dem Instinkt eines Tieres konnte er in eine Art Halbschlaf fallen, in dem ihm nicht einmal der Flügelschlag einer Fledermaus entgangen wäre. Als Maria gegen Mittag die Augen öffnete, war er sofort hellwach. Mit einer Geste verlangte

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