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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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um die eigene Tat zu vertuschen? Aber dann hätte er eine Armbrust besitzen müssen. Wenn die Geschichte wirklich stimmte, dann hatte der Mörder rote Haare gehabt. Ging jemand in einen gottverlassenen Wald und klebte sich fremde Haare auf den Kopf? Die Antwort war im Grunde ganz einfach – und der Pilger hatte recht: Der Mörder war ein Mensch mit roten Haaren, einer Armbrust und ein vortrefflicher Schütze. Das traf weder auf den Jungen noch auf den Iren zu. Und auf den Templer auch nicht.
    Maria richtete sich auf. Berthold neben ihr schlief. Sein rotblondes Haar zeichnete sich auf dem weißen Kissen ab, sein Atem ging ruhig und regelmäßig. Berthold hatte rote Haare, und er besaß auch eine Armbrust, mit der er umzugehen wußte. Aber Berthold war mit Raupach bei den Lehenshöfen gewesen an diesem Morgen. Er konnte es nicht gewesen sein. Und wenn Raupach ihn deckte? Und, schlimmer noch, wenn auch der Ire ihn gedeckt hatte? Wußten alle Bescheid, nur sie, Maria, nicht? Sie hätte vor Scham im Boden versinken mögen bei der Vorstellung, was sie Cai Tuam angetan hatte. Warum hatte er ihr nie gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren, wenn er unschuldig war? Weil er seinen Herren schützen wollte?
    Maria zog das Laken enger um sich. Sie fror. Ihr Mann war kein Mörder, dieser anständige, gute Mensch, der auf den Titel verzichtet hatte, wo jeder andere hingegangen wäre und den alten, kranken Bruder kurzerhand beiseite geschafft hätte! Sie sank in die Kissen zurück und starrte in die Dunkelheit.
    In Raupach lebte man nun in ständiger Angst. Heinrich der Löwe suchte wie ein Tier, das in der Falle sitzt, nach Stützpunkten in seinem Land, die es ihm ermöglichen würden, dem Kaiser zu trotzen. Er suchte nach gut befestigten Burgen, nach Städten, die eine Belagerung überstehen konnten, und nach solchen, die ihm noch treu ergeben waren. In Raupach lebte man in ständiger Alarmbereitschaft. Auf den Mauern waren Tag und Nacht die Wachen postiert, denn ringsum fielen die Lehnsmänner vom Herzog ab. Immer mehr Vasallen und Dienstmänner konnten sich nun an Heinrich rächen, der nie sehr sanft mit ihnen umgegangen war. In Gelnhausen war die Reichsheerfahrt für den Juli beschlossen worden. Aber bis dahin würde Heinrich noch durchs Land ziehen. Wie lange, ohne daß ihm die Festung Raupach ins Auge fiel?
    Boten und Kuriere huschten über die Straßen und brachten Nachrichten hierhin und dorthin. In Ratzeburg, hieß es, hätten sich die eigenen Leute vom Herzog abgewandt und sich geweigert, ihn in die Stadt zu lassen. Daraufhin sei er zur Artlenburg geritten, die er auf jeden Fall halten mußte. In Raupach atmete man ein wenig auf. Dennoch wurden die Wachen nicht zurückgezogen.
    In Lüneburg, so kam die nächste, beunruhigende Nachricht, habe sich Heinrichs Frau einquartiert, um den Krieg abzuwarten, und das konnte der Stadt zum Verhängnis werden. Die Lüneburger sahen schweren Zeiten entgegen, wenn sie die Frau des Herzogs in ihrer Stadt beherbergten. Die Angst zerrte an den Nerven. In Raupach wartete man auf den Kaiser, aber der kam nicht. Angeblich stand das kaiserliche Heer in Verden an der Aller. Raupach wurde ungeduldig. Er schickte einen Boten nach Verden und verdoppelte die Wachen auf den Mauern.
    Die Sommertage waren heiß. Selbst in der Nacht kühlte es nicht ab. Die feuchte, schwere Wärme zog Schwärme von Insekten an, die aus den Sümpfen kamen. Auf einigen Lehnshöfen ringsum war wieder einmal das Schweißfieber ausgebrochen, und auch in Raupach waren schon zwei Knechte daran gestorben.
    Bei Sonnenuntergang war er zur Ringmauer hinaufgestiegen, um einen Soldaten abzulösen. Der war im Sitzen eingeschlafen und schlummerte selig vor sich hin.
    »Heinrich ist da«, sagte der Ire laut. Der Soldat schreckte hoch und griff nach seinem Schwert.
    »Tod und Teufel, Tuam«, knurrte er ärgerlich und schob sich den Helm wieder auf den Kopf, als er merkte, daß der andere sich einen schlechten Scherz mit ihm erlaubt hatte. Cai sah die Mauer hinunter.
    »Alles ruhig«, grinste der Soldat, »der Welfe sitzt auf der Artlenburg oder brennt längst in der Hölle.«
    Er stand auf, nahm seine Lanze und polterte die hölzerne Treppe herunter. Im Hof begegnete er der Herrin Maria.
    »Auf ein Wort, Soldat«, sprach sie ihn an, »ist der Ire da oben?«
    Der Soldat nickte. Maria bedankte sich und nahm die enge Treppe, den Mantel fest um sich geschlungen. Wer interessierte sich jetzt noch außer ihr, die endlich Gewißheit haben

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