Die russische Gräfin
Monk mit solcher Inbrunst gedankt, daß es ihm geradezu einen Stich ins Herz versetzte, denn mit einem Schlag sah er ihre wahre Schönheit, die stärker war und um ein Vielfaches heller leuchtete als Evelyns Charme, der so schnell verblaßt war.
»Ich muß gehen«, sagte er steif. Er hatte das Gefühl, seine Schutzmaske sei ihm heruntergerissen worden und sie habe ihn genauso nackt gesehen, wie er sich wahrnahm. »Ich darf den Zug nach Wellborough nicht verpassen. Ich muß noch heute abend ein Zimmer finden. Gute Nacht.«
Sie konnte kaum eine Antwort geben, so abrupt drehte er sich um und stürmte zur Tür. Er riß sie auf und verschwand.
Nach einer mehr schlecht als recht in einem ungewohnten Gasthofbett verbrachten Nacht packte Monk am nächsten Morgen seinen Koffer und ließ sich in einer Kutsche nach Wellborough Hall fahren. Diesmal hatte er nicht die Absicht, Lügen über seine wahren Absichten zu verbreiten, egal wie Lord Wellborough reagieren mochte.
»Sie sind was?« rief Seine Lordschaft mit eisiger Miene und baute sich vor dem mitten im Morgenzimmer stehenden Monk auf.
»Ein Ermittler«, wiederholte Monk mit der gleichen Kälte.
»Ich wußte nicht, daß es so etwas überhaupt gibt.« Wellboroughs Nasenflügel blähten sich, als hätte er einen abscheulichen Geschmack im Mund. »Sollte einer meiner Gäste sich indiskret benommen haben, will ich es nicht wissen. Wenn dergleichen in meinem Haus geschehen ist, erachte ich es für meine Pflicht als Gastgeber, die Angelegenheit selbst zu bereinigen, und zwar ohne die Einschaltung von… wie auch immer Sie sich nennen mögen. Mein Lakai wird Ihnen die Tür zeigen, Sir.«
Monk sah ihm mit festen Blick in die Augen. »Die einzige Schlafzimmerindiskretion, die mich interessiert, ist Mord!«
»Da kann ich Ihnen nicht helfen«, entgegnete Wellborough.
»Ich weiß von niemandem, der ermordet wurde. Auch hat es hier meines Wissens keinen Toten gegeben. Ich habe es Ihnen schon mal gesagt: Mein Lakai wird Ihnen den Weg zur Tür zeigen. Und kommen Sie bitte nicht mehr zurück. Sie haben sich unter falschen Angaben bei mir eingeschlichen. Sie haben meine Gastfreundschaft mißbraucht und sich meinen anderen Gästen aufgedrängt. Das ist unentschuldbar. Guten Tag, Mr. Monk. Ich nehme doch an, daß das Ihr richtiger Name ist? Nicht, daß das noch eine Bedeutung hätte.«
Monk rührte sich nicht von der Stelle. Den Blick weiter auf Wellborough gerichtet, sagte er: »Prinz Friedrich ist in diesem Haus gestorben, Lord Wellborough. Es wurde in aller Öffentlichkeit der Vorwurf des Mordes erhoben…«
»Der vehement abgestritten wurde«, fiel ihm der andere ins Wort. »Und kein anständiger Mensch in diesem Land hat auch nur eine Minute daran geglaubt. Wie Ihnen zweifellos bekannt ist, steht diese elende Person, die allem Anschein nach übergeschnappt ist, auch schon wegen Verleumdung vor Gericht. Nächste Woche oder so wird ihr der Prozeß gemacht.«
»Ihr wird nicht der Prozeß gemacht«, verbesserte ihn Monk.
»Es handelt sich vielmehr um eine zivile Streitsache. Allerdings wird die Frage, ob es sich um Mord handelte, natürlich eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere wird man die medizinischen Beweismittel bis ins Detail überprüfen.«
»Medizinische Beweismittel?« Wellboroughs Gesicht wurde immer länger. »Menschenskind, es gibt doch keine! Der arme Mann ist tot und liegt seit einem halben Jahr unter der Erde!«
»Eine Exhumierung der Leiche wäre in der Tat äußerst bedauerlich«, stimmte Monk zu und fuhr, ohne auf Wellboroughs ungläubiges Entsetzen zu achten, fort: »Aber wenn die Verdachtsmomente keine andere Lösung zulassen, wird man sie wohl ausführen müssen. Höchst betrüblich für die Familie, aber es darf nicht geduldet werden, daß der Vorwurf des Mordes ungeklärt…«
Wellborough erstarrte. Seine Wangen waren auf einmal mit blutroten Flecken übersät. »Er ist längst geklärt worden, Mann! Niemand, der halbwegs bei Trost ist, würde für möglich halten, daß die arme Gisela ihrem Mann etwas zuleide getan, geschweige denn ihn kaltblütig ermordet haben soll. Das ist ungeheuerlich… und völlig absurd!«
»Ich gebe Ihnen ja recht«, sagte Monk ungerührt. »Aber es ist nicht so absurd, Klaus von Seidlitz zu verdächtigen. Sein Motiv hätte sein können, Friedrichs Rückkehr als Führer der Widerstandsbewegung gegen die Vereinigung zu verhindern.
Außerdem besitzt er immense Ländereien im Grenzgebiet, die im Kriegsfall brachliegen
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