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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich über ihr Ausmaß gar nicht im klaren.«
    Sie starrte ihn an. »Ich wußte nicht, daß er überhaupt zurückkehren wollte. Keiner hatte mir etwas davon gesagt.«
    »Die Pläne waren wahrscheinlich geheim, wenn überhaupt schon eine Entscheidung gefallen war.«
    Ihre Nervosität und Verwirrung hatte sich noch immer nicht gelegt. »Und Sie glauben, daß jemand ihn ermordet hat, um seine Rückkehr zu verhindern? Ich dachte, das wäre nicht mehr möglich, weil er sich doch für Gisela und gegen die Krone entschieden hatte.« Sie blieb kopfschüttelnd in der Mitte des Zimmers stehen und dachte nicht daran, sich zu setzen. Hatte sie am Ende Angst, dieses unangenehme Gespräch würde nur verlängert, wenn sie es sich bequem machte?
    »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß er ohne sie zurückgekehrt wäre, Mr. Monk, auch dann nicht, wenn er seinem Land die Vereinigung mit Deutschland hätte ersparen wollen, die sich über kurz oder lang sowieso nicht vermeiden läßt. Wenn Sie die zwei bei uns gesehen hätten, wären Sie gar nicht auf eine solche Idee gekommen.« Ihr Tonfall verriet deutlich, daß sie diese Vorstellung für lächerlich hielt. Zugleich war auch Bedauern, vielleicht sogar Neid herauszuhören. »Ich hätte nie gedacht, daß man sich so lieben kann. Manchmal war es, als sprächen sie mit einer Stimme.« Ihre blauen Augen richteten sich auf einen Punkt hinter seinem Kopf. »Wenn er etwas sagte, dann sprach oft sie für ihn zu Ende oder umgekehrt. Jeder verstand die Gedanken des anderen. Ich kann nur davon träumen, wie es wäre, in einer derart totalen Harmonie zu leben.«
    Monk betrachtete sie und sah eine reifende Frau, die sich jetzt mit Mitte Dreißig mit dem Ende ihrer Träume auseinandersetzen mußte, eine Frau, die begriffen hatte, daß innere Einsamkeit wie bei ihr nicht notwendigerweise zum Leben gehörte, daß es Menschen gab, die das Ideal gefunden hatten. Und gerade, als sie das akzeptiert hatte, da wurde es ihr in ihrem eigenen Haus vorgelebt – von anderen.
    Plötzlich trat ihm Hester vor Augen, und mit dem Gedanken an sie schwappte sein Vertrauen zu ihr wieder hoch. Sie war stur und kratzbürstig und konnte ihm bisweilen furchtbar weh tun. Und wenn er glaubte, die Schmerzen seien ausgestanden, dann stach sie schon wieder zu. Aber er kannte auch ihren Mut, ihre Aufrichtigkeit und ihr Mitgefühl. In dieser Hinsicht traute er ihr mehr zu als sich selbst, und er wußte, bei allem Zorn auf sie, daß sie ihn nie absichtlich verletzen würde. Trotzdem wollte er nichts derart Wertvolles wie sie besitzen. Es bestand die Gefahr, daß er es zerbrach oder verlor.
    Freilich konnte auch sie ihm nie wiedergutzumachenden Schaden zufügen, wenn ihre Liebe zu Rathbone über bloße Freundschaft hinausging. Doch diesen Gedanken verdrängte er.
    »Möglicherweise«, sagte er nach längerem Schweigen. »Aber aus Gründen, die Lord Wellborough Ihnen sicher erklärt hat, ist es von größter Bedeutung, daß wir die Geschehnisse im Detail rekonstruieren und Beweise dafür finden. Die Alternative wäre eine vom Richter angeordnete Untersuchung.«
    »Das leuchtet mir ein«, gab sie zu. »Und Sie können mit unserer Mitarbeit rechnen. Ich habe unsere Bediensteten angewiesen, alle Ihre Fragen zu beantworten. Aber was soll ich Ihnen schon sagen können? Prinzessin Giselas Anwälte haben mich bereits gebeten, eine Stellungnahme zu Gräfin Rostovas Verleumdung abzugeben.«
    »Selbstverständlich. Hatte Graf Lansdorff Gelegenheit zu einem Gespräch mit Friedrich unter vier Augen?«
    »Nein.« Ihre Miene verriet, daß sie genau verstand, worauf diese Frage abzielte. »Gisela ließ keine Besucher zu ihm. Dafür ging es ihm viel zu schlecht.«
    »Ich dachte an die Zeit vor dem Unfall.«
    »Oh! Ja. Sie sprachen sogar ziemlich oft miteinander. Anscheinend näherten sie sich nach dem damaligen Zerwürfnis einander langsam wieder an. Am Anfang war die Atmosphäre oft gespannt. In den zwölf Jahren nach Friedrichs Gang ins Exil hatten sie ja praktisch nie miteinander gesprochen.«
    »Aber vor dem Unfall verstanden sie sich wieder ganz gut, richtig?«
    »So sah es aus, ja. Wollen Sie damit andeuten, daß Rolf ihn zur Rückkehr aufforderte und Friedrich einverstanden war? Wenn ja, dann wäre er aber nie ohne Gisela gegangen.« Sie hatte im Brustton der Überzeugung gesprochen, und endlich näherte sie sich dem großen Sofa, wo sie mit ungekünstelter Anmut ihre gewaltigen Röcke ausbreitete und sich

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