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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Verleumdung, und sie haben keine andere Wahl, als auf schuldig zu befinden, weil die Gräfin eben schuldig ist. Vielleicht kann ich sie davon überzeugen, daß sie nur deshalb zu diesem extremen Mittel gegriffen hat, weil sie entweder darauf aufmerksam machen wollte, daß er ermordet wurde, und es nicht wagte, jemand anderen anzuklagen, oder aber tatsächlich Gisela für die Mörderin hält – auch wenn ich mir nicht vorstellen kann , daß ihr auch nur ein Mensch glauben würde. Sobald man sie fragt, wie sie darauf gekommen ist, wird man gleich sehen, daß sie es selbst nicht weiß.«
    Er ging zum Kabinett hinüber und kehrte mit einem Glas zu seinem Sessel zurück. »Ich wage es auch nicht, sie in den Zeugenstand zu rufen. Sie würde sich nur selbst dem Henker ausliefern.«
    Henry starrte ihn erbost an.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Oliver, der wußte, daß sein Vater Übertreibungen haßte. Er deutete auf die Karaffe.
    »Soll ich dir nachschenken?«
    »Vielleicht kommt es tatsächlich soweit«, brummte Henry, ohne auf das Angebot einzugehen. »Sie kann durchaus am Galgen enden, wenn du nicht vorsichtig bist, Oliver. Du mußt beweisen, daß es Pläne für Friedrichs Heimholung gab. Aber selbst wenn dir das gelingt, wird sich die Frage stellen, ob nicht Zorah ihn getötet hat. Hatte sie eine Möglichkeit dazu?«
    »Ja.« Nicht einmal der Portwein konnte das klamme Gefühl vertreiben, das sich in Olivers Brust breitgemacht hatte.
    »Hätte sie sich Eibenblätter besorgen und Gift daraus destillieren können?«
    »Mit Sicherheit. Außer Gisela hatte jeder die Möglichkeit. Wir wissen nur noch nicht, wie das Gift hergestellt wurde. Das ist das schwächste Glied in unserer Beweiskette. Die Köchin und ihre Helferin sind sich offenbar sicher, daß niemand die Küche dafür benutzt hat. Aber Zorah könnte es genauso gewesen sein wie alle anderen im Haus.«
    »Hätte sie ein Motiv gehabt?«
    »Das weiß ich nicht, aber es dürfte nicht schwerfallen, ihr einige zu unterstellen; von Eifersucht und Wut, weil Gisela Friedrich geheiratet hat, bis hin zu politisch motiviertem Haß, denn Gisela war schuld, daß Friedrich nicht als Führer der Unabhängigkeitsbewegung heimkehrte. Und sie hatte ja auch verhindert, daß er die Thronfolge antrat.«
    »Die Antwort ist also, daß Zorah das plausibelste Motiv von allen hatte.« Henry schüttelte betrübt den Kopf. »Oliver, ich fürchte, du bist mit deiner Mandantin in eine äußerst heikle Lage geschlittert. Du kannst von Glück reden, wenn sie da noch den Kopf aus der Schlinge zieht.«
    Oliver entgegnete nichts. Er wußte, daß sein Vater recht hatte. Wie Rathbone erwartet hatte, verbrachte Harvester den gesamten dritten Prozeßtag mit der Befragung der Bediensteten in Wellborough Hall. Er mußte das schon länger vorbereitet haben, es sei denn, er hatte sie gestern sofort nach der Vertagung holen lassen. In diesem Fall hätten sie die ganze Nacht reisen müssen – vorausgesetzt, es verkehrten Nachtzüge in diesem Teil von Berkshire.
    Ihre Aussagen bestätigten Rathbones schlimmste Befürchtungen. Einer nach dem anderen traten sie in ihrem besten Sonntagsstaat in den Zeugenstand und erklärten übereinstimmend, die Hände vor Nervosität ineinander verhakt und mit vor Angst bebender Stimme: Prinzessin Gisela hätte zu keinem Zeitpunkt die Suite verlassen, in der sie mit ihrem Mann, Gott sei seiner Seele gnädig, lebte; niemand hätte sie je auf der anderen Seite jener grünen Tür gesehen, und sie hätte sich ganz gewiß nie in der Küche blicken lassen. Die Köchin leistete einen Eid darauf; die Küchenmagd, die zwei Spülerinnen, der Bäcker, der Stiefelknecht, drei Lakaien, der Butler, die Haushälterin, zwei Stubenmädchen, vier Putzfrauen und zwei Lehrlinge taten es ihr gleich. Eine Kammerzofe sagte im Namen dreier weiterer Zofen, eines Kammerdieners und dreier Wäscherinnen aus.
    Niemand hatte die Prinzessin Gisela außerhalb ihrer Suite gesehen, und es war praktisch ständig jemand im Haus unterwegs gewesen.
    Andererseits standen unbestreitbar Eiben im Garten.
    »Hätte jemand, der durch den Garten spazierte, an diese Eiben herankommen können?« fragte Harvester die Haushälterin, eine gemütliche, freundliche Matrone mit ergrauendem blondem Haar.
    »Ja, Sir. Unter der Eibenallee ist es einfach herrlich, und sie bietet sich fast von selbst an, wenn man ein bißchen allein sein will, weil sie zur Stelle mit der schönsten Aussicht über die Felder

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