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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ich dachte mir schon, daß du vielleicht später darüber reden willst. Weißt du, ich bekomme ja nicht nur das mit, was vorne gesagt wird, sondern auch die Reaktionen der Leute.«
    Oliver sah ihm in die Augen. »Willst du damit andeuten, daß die Menge hinter Gisela steht…, der armen trauernden Witwe? Das weiß ich doch schon. Und soweit ich es beurteilen kann, haben sie sogar recht. Monk nimmt an, daß es ein politischer Mord war. Seiner Meinung nach hatte der Täter eigentlich Gisela umbringen wollen, um Friedrich den Weg für die Heimkehr zu ebnen. Aber irgend etwas ging schief, und der Falsche schluckte das Gift.«
    Henry Rathbone legte die Stirn nachdenklich in Falten. »Das kann schon sein«, brummte er. »Aber hoffentlich behauptest du nicht so etwas Dummes vor Gericht.«
    »Ich halte es nicht für dumm«, widersprach Oliver heftig. »Im Gegenteil, ich glaube, daß er recht hat. Die Königin haßte Gisela bis auf den Tod. Aber mit der gleichen Leidenschaft betrieb sie Friedrichs Rückkehr, und zwar aus zwei Gründen: Er sollte die Unabhängigkeitsbewegung anführen und sich neu verheiraten, um den Fortbestand der Dynastie zu sichern. Ihr anderer Sohn hat keine Kinder.«
    »Ich dachte, er hätte noch mehrere Schwestern«, murmelte Henry verwirrt.
    »Die Krone wird nicht an die weibliche Linie weitergegeben«, erwiderte Oliver und machte es sich in seinem Sessel bequemer.
    »Dann sollen sie eben die Verfassung ändern!« rief Henry unwirsch. »Das ist doch viel einfacher und bei weitem nicht so gefährlich wie ein Mord an Gisela. Und wer sagt denn schon, daß Friedrich der Unabhängigkeitsbewegung wirklich hätte nützen können? Es bedarf eines Wunders, daß ein Mann, der gerade die Liebe seines Lebens verloren hat, den Mut und die Entschlossenheit aufbringt, sein Volk in den Kampf zu führen. Wer weiß, vielleicht hätte er eine derartige Intrige sogar durchschaut!«
    Oliver verschlug es die Sprache. So weit hatte er noch gar nicht gedacht. Wäre Giselas Ermordung gelungen, dann hätte Friedrich doch in jedem Fall Verdacht geschöpft.
    »Vielleicht stand nicht die Königin oder Rolf dahinter, sondern irgendein Fanatiker, der zu dumm war, um die Folgen vorauszusehen«, murmelte er zögernd.
    Henry wölbte die Augenbrauen. »Kamen in Wellborough Hall denn so viele an das Essen des Prinzen heran?«
    Oliver blieb die Antwort schuldig.
    Das Feuer fiel mit einem Funkenregen in sich zusammen. Mit Hilfe einer Zange legte Henry mehrere Kohlen nach. »Wen wird Harvester morgen aufrufen?« fragte er dann und steckte sich geistesabwesend seine Pfeife in den Mund, ohne sie anzuzünden.
    »Das weiß ich nicht«, murmelte Oliver, von der Erkenntnis seines Vaters noch benommen.
    »Könnte Gisela vielleicht doch schuldig sein?« drängte Henry. »Hatte sie nicht doch eine Möglichkeit… und auch ein Motiv?«
    Oliver war in Gedanken noch bei der vorangegangenen Frage.
    »Die Bediensteten«, sagte er. »Harvester wird morgen das Personal der Wellboroughs ausfragen. Und sie werden bestimmt beeiden, daß Gisela ihre Suite kein einziges Mal verließ.«
    »Wäre das die Wahrheit?«
    »Ich glaube, ja.«
    Henry nahm die Pfeife aus dem Mund. Langsam mußte ihm an den Füßen unerträglich heiß werden, weil er so nahe beim Feuer saß, doch er nahm’s nicht wahr. »Dann kann sie nicht schuldig sein«, räumte er ein. »Es sei denn, sie hätte von vornherein Eibengift gehabt. Doch dann hätte sie den Mord schon lange vor dem Unfall planen müssen. Aber eine solche Vermutung nimmt kein Mensch ernst, wenn man sie nicht lückenlos beweisen kann.«
    »Ich weiß«, stöhnte Oliver. »Sie war es nicht.«
    Danach trat Schweigen ein. Bis auf das Ticken der Wanduhr und das Prasseln des Feuers war kein Laut zu hören.
    »Deine Füße brennen bald«, bemerkte Oliver jäh.
    Jetzt erst merkte Henry, wie heiß ihm geworden war. Er zog sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. Im nächsten Augenblick hatte er sich schon wieder unter Kontrolle. »Und außerdem mußt du herausfinden, wer ihn umgebracht hat«, erklärte er.
    »Entweder Rolf oder Brigitte, wenn der Anschlag Gisela galt, oder Klaus von Seidlitz, wenn Friedrichs Rückkehr verhindert werden sollte.«
    »Das ist aber kein Beweis für deine Verschwörungstheorie«, mahnte Henry seinen Sohn. »Und mit Mutmaßungen kommst du bei den Geschworenen nicht weit. Ohne triftigen Grund weisen sie die Klage nicht ab.«
    »Das ist ja auch unerheblich«, seufzte Oliver. »Die Klage lautet auf

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