Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
vorausgesetzt, du brichst damit deine Schweigepflicht nicht.«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht. Ich glaube, ihr liegt sogar daran, daß es möglichst weit verbreitet wird.« Oliver setzte sich wieder in Bewegung und erreichte den leicht gewundenen Weg, der zum Haus führte, wo sich hinter der Terrasse der wohlvertraute Salon mit seinen bequemen Sesseln vor dem Kamin, seinen Gemälden und dem mit Büchern beladenen Regal befand.
    Henry war noch immer nicht beruhigt. »Aber warum? Ich nehme an, du kennst ihre Gründe. Unzurechnungsfähigkeit ist bei übler Nachrede kein Strafmilderungsgrund, nicht wahr?«
    Oliver musterte seinen Vater einen Moment, bis er sicher war, Spuren seines trockenen, wenn auch ernsten Humors entdeckt zu haben.
    »Natürlich nicht. Und sie wird auch nichts widerrufen. Sie ist fest davon überzeugt, daß Prinzessin Gisela Prinz Friedrich ermordet hat, und ist nicht bereit zu dulden, daß dieses Verbrechen und ihre Heuchelei ungesühnt bleiben.« Er holte tief Luft. »Und ich bin es auch nicht.«
    Sie erklommen die Stufen und gingen ins Haus. Die Tür ließen sie weiterhin offen – es war ein milder Abend, und die Luft roch süß nach Garten.
    »Hat sie dir das so gesagt?« fragte Henry und öffnete die Tür zur Vorhalle, um dem Butler mitzuteilen, daß Oliver zum Dinner bleiben würde.
    »Hast du Zweifel?« fragte Oliver und setzte sich in den zweitbequemsten Sessel.
    Henry nahm ihm gegenüber Platz und schlug die Beine übereinander. Entspannt wirkte er dennoch nicht. Ernst sah er Oliver ins Gesicht. »Was weißt du zum Beispiel über ihr Verhältnis zu Prinz Friedrich, bevor Gisela ihn heiratete?«
    Daran hatte Oliver auch schon gedacht, aber Zorah hatte seine Frage nicht als peinlich empfunden, sondern als nüchterne Überlegung, der man sich stellen mußte. »Ihre Gefühle ihm gegenüber wirkten nicht persönlich; außerdem wäre sie die letzte, die sich vom höfischen Protokoll einschränken ließe. Sie hat einen Freiheitsdrang, eine leidenschaftliche Liebe zum Leben, die zu mächtig ist…« Er zögerte. Am Blick seines Vaters erkannte er bereits, daß er sich verraten hatte.
    »Vielleicht«, sagte Henry nachdenklich. Erneut huschte ein Ausdruck von Besorgnis über sein Gesicht. »Aber trotzdem kann man jemandem verübeln, daß er einem etwas weggenommen hat, obwohl man es nicht unbedingt für sich wollte.«
    Oliver blieb skeptisch.
    »Mein Gott, Oliver! Wie viele Männer in deinem Bekanntenkreis lieben ihre Frau nicht besonders, würden aber toben, wenn sie einen anderen vorzögen?«
    »Das ist doch etwas ganz anderes. Was du meinst, ist Betrug und – häßlich ausgedrückt – Entzug von Eigentumsrechten.«
    »Aber kann es nicht sein, daß Gräfin Zorah eine gewisse Position als Mätresse des Prinzen hatte, die sie verlor, als er eine andere Frau heiratete und so sehr anbetete, daß er ihretwegen ins Exil ging?« fragte Henry.
    »Sie wollte ihn nicht heiraten«, sagte Oliver bestimmt. »Wenn du sie kennen würdest, wärest du davon genauso überzeugt wie ich. Sie ist eine äußerst lebhafte und selbständige Person und hätte im ganzen Leben nicht daran gedacht, Königin zu werden, ja, ihr hätte davor gegraut!«
    »Ich weiß nicht…«
    Oliver beugte sich vor. Seine Stimme nahm einen bei ihm ungewöhnlich eindringlichen Ton an. »Ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie seine Mätresse war und andere Frauen ablehnte, die an ihre Stelle traten, aber es entspräche nicht ihrem Wesen, einem Verlust zwölf Jahre lang nachzutrauern. Sie ist zu vital, zu lebensfroh, um ihre Energie auf nutzlose Gefühle zu vergeuden.«
    Henry lächelte, doch seine Augen blickten ernst und besorgt.
    »Du kennst diese Gräfin Rostova also sehr gut?«
    Oliver spürte, wie seine Wangen brannten. »Ich habe mir eine gute Menschenkenntnis angeeignet, Vater. Das gehört zu meinem Beruf und macht zu einem großen Teil meinen Erfolg aus.«
    »Nimm deine Fähigkeiten nicht als selbstverständlich hin«, warnte ihn sein Vater milde. »Sobald man beginnt, sich zu sicher zu fühlen, begeht man den ersten Fehler. Ich bezweifle nicht, daß sie eine außergewöhnliche Frau ist – eine gewöhnliche Frau würde nie solche Beschuldigungen gegen eine der größten Romantikerinnen der Welt erheben.« Er legte die Fingerspitzen aneinander. »Aber welche Beweise hat sie? Offensichtlich genügen sie nicht, um damit zur Polizei zu gehen, sonst hätte sie das längst getan. Und die Beweislast liegt bei ihr, nicht bei Prinzessin

Weitere Kostenlose Bücher