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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gestickten Initialen. »Gebe Gott, daß es nicht so weit kommt. Friedrich war für die Unabhängigkeit, selbst wenn er dafür hätte kämpfen müssen. Aber ich weiß nicht, ob die anderen Führer des Landes auch so denken. Wie dem auch sei, jetzt ist er ja tot. Und ohne Gisela wäre er sowieso nicht zurückgekehrt. Aber mit ihr hätte ihn die Königin nicht ins Land gelassen, egal was das für die Zukunft bedeutet hätte.«
    Jetzt konnte sich Hester ihre Frage nicht länger verkneifen.
    »Wäre er notfalls auch ohne sie gegangen, wenn die Unabhängigkeit seines Landes davon abgehangen hätte?« Dagmar sah ihr fest in die Augen. Ihre Züge wirkten auf einmal angespannt. »Ich weiß es nicht. Früher hätte ich es ausgeschlossen, aber jetzt weiß ich es einfach nicht…«
    Der erste, der zweite, der dritte Tag verstrichen. Roberts Fieber hatte sich gelegt, und er nahm nun auch allmählich wieder feste Nahrung zu sich, ja, sie schmeckte ihm sogar. Auch verheilten seine Wunden ohne Komplikationen. Jedesmal, wenn Hester den Verband wechselte, stellte sie zufrieden fest, daß das Fleisch gut zusammenwuchs und die Schwellungen zurückgingen. Aber noch immer zeigte sein Körper unterhalb der Hüften keinerlei Anzeichen vom Leben.
    Bernd setzte sich jeden Abend zu seinem Sohn ans Bett und plauderte mit ihm. Hester entfernte sich dann immer diskret, aber Bemerkungen, die sie aufschnappte, und Roberts Haltung nach diesen Besuchen verrieten ihr, daß die vollständige Heilung für ihn nur eine Frage der Zeit war.
    Nach außen hin gab sich Dagmar in Roberts Gegenwart ähnlich zuversichtlich, doch kaum war sie mit Hester allein, zeigte sie ihr ihre ganze Angst. »Es wird und wird nicht besser«, klagte sie am vierten Tag nach ihrem Gespräch über die deutsche Politik. Ihre Augen waren verhüllt und ihre Schultern unter dem Wollmieder und dem weißen Kragen steif. »Erwarte ich zuviel auf einmal? Ich hatte gedacht, nach so vielen Tagen müßte er langsam wieder die Füße bewegen können, aber er liegt einfach nur da. Und ich habe nicht den Mut, ihn zu fragen, was er jetzt denkt!«
    Hester spürte, daß sie verzweifelt auf ein Wort wartete, das sie von allen Ängsten erlöste, zumindest für eine Weile. Aber tat sie ihr damit einen Gefallen oder quälte sie sie nicht vielmehr, wenn sie sie mit einer Lüge vertröstete? War der Glaube an sich selbst nicht noch wichtiger?
    »Vielleicht sollten Sie nicht soviel fragen«, antwortete sie. Ihre Erfahrung mit unzähligen Verstümmelten hatte sie gelehrt, daß es Dinge gab, bei denen niemand Trost spenden konnte. Man konnte nichts tun, als dazusein und zu warten, bis die Schmerzen ein Eingreifen erforderten oder der Patient sprechen wollte. Früher oder später würde schon etwas geschehen. »Er wird sprechen, wenn er soweit ist. Vielleicht würde ihn Besuch ein bißchen ablenken. Ich glaube, Lady Callandra hat eine Miss Victoria Stanhope erwähnt, die selbst auch einen Schicksalsschlag erlitten hat und ihm vielleicht ermutigende…« Sie wußte nicht, wie sie den Satz zu Ende führen sollte.
    Dagmar sah sie skeptisch an und wollte den Vorschlag schon abweisen, als Hester noch einmal nachsetzte: »Jemand, der ihm nicht so nahe steht und dem er die Sorgen nicht gleich anmerkt, könnte ihm vielleicht helfen.«
    »Ja, warum nicht…?« Dagmar schöpfte wieder Hoffnung.
    »Vielleicht gelingt ihr das wirklich. Ich werde ihn fragen.«
    Am nächsten Tag fand sich Victoria Stanhope bei Hester ein und wurde Robert zum zweitenmal vorgestellt.
    Dagmar war zunächst noch unschlüssig gewesen, ob es sich wirklich schickte, eine alleinstehende junge Frau zu ihrem Sohn zu lassen. Doch ihre Bedenken lösten sich in Luft auf, als sie Victoria kennenlernte. Ihr schüchternes Auftreten, ihre auffällige Gehbehinderung und ihr schlichtes Kleid verrieten sofort, daß von ihr keine Gefahr drohte. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen, aber ihre Würde und gepflegte Wortwahl nahmen Dagmar sofort für sie ein. Der Name ›Stanhope‹ kam ihr irgendwie bekannt vor, wenngleich sie ihn nicht auf Anhieb einordnen konnte.
    Victoria blieb neben Hester auf dem Treppenabsatz stehen. Jetzt, da es soweit war, verließ sie aller Mut.
    »Ich kann nicht hineingehen«, flüsterte sie. »Was soll ich ihm denn sagen? Wenn er sich überhaupt an mich erinnert, dann bestimmt nur, weil ich ihm damals einen Korb gegeben habe.« Sie schluckte und wandte ihr weißes Gesicht Hester zu. »Und dann auch noch meine Familie… Er wird

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