Die russische Gräfin
Gondel dreißig Meter hinter ihnen drang Gelächter an ihre Ohren.
»Auch der Comte de Montmoulin lebt hier«, fuhr Stephan fort. »In San Vio im Palazzo Loredan.«
»Und wo ist oder war er König?« fragte Monk, dem dieses Spiel langsam Spaß machte, auch wenn ihn Literaten wie Ruskin weitaus mehr interessierten.
»Spanien«, antwortete Stephan. »Zumindest behauptet er das. Es gibt hier alle Arten von Künstlern, Dichtern, Kriegsversehrten, politischen Exilanten und Flüchtlingen. Einige davon sind wahre Paradiesvögel, andere schrecklich langweilig.«
Venedig schien in der Tat der ideale Ort für Friedrich und Gisela und diejenigen zu sein, die ihnen aus welchen Gründen auch immer ins Exil gefolgt waren.
Eine Stunde später aßen sie auf einer kleinen Piazza zu Mittag. Passanten schlenderten plaudernd über den Platz; Monk hörte ein halbes Dutzend fremder Sprachen heraus. Hier und da lümmelten österreichische Soldaten herum, jederzeit bereit, zum Gewehr zu greifen, falls es irgendwo Anzeichen von Widerstand oder Aufruhr gab – eine bestürzende Erinnerung daran, daß Venedig eine besetzte Stadt war. Die Einheimischen mochten die Eindringlinge nicht. Doch es hieß gehorchen oder die Folgen zu spüren bekommen.
Die Straßen und Kanäle waren ruhiger, als Monk erwartet hatte. Er war den Lärm und Überschwang von London gewöhnt. Im Kontrast zu der ständig brodelnden Hauptstadt eines Weltreichs mit ihrem Prunk und ihrem Elend, ihrem blühenden Handel und ihrer Ausdehnung, aber auch ihren Armen und Unterdrückten in den überquellenden Elendsvierteln erweckte Venedig den Eindruck einer vom Ruhm früherer Tage zehrenden Ruine, die unter fremden Herrschern nach und nach in Hoffnungslosigkeit versank. Die Vergangenheit war noch als schmerzendes Monument allgegenwärtig, doch ihre Schönheit zerbröckelte. Besucher wie Monk und Stephan saßen in der Herbstsonne auf mit Marmor gepflasterten Plätzen und beobachteten andere Wanderer und Exilanten, die mit gedämpfter Stimme miteinander sprachen, während die Venezianer in nach außen hin apathischer Fügsamkeit ihren Geschäften nachgingen und die Österreicher lässig über die Straßen und Plätze einer Stadt stolzierten, die ihnen nichts bedeutete.
»Ist Zorah oft hierher gekommen?« fragte Monk. Um ihre Anschuldigungen besser zu verstehen, mußte er mehr über diese Frau in Erfahrung bringen. Bislang hatte er sie zu sehr vernachlässigt.
Stephan stieß mit seiner Gabel in eine gefüllte Tomate. »Ja, mindestens einmal jedes Jahr. Warum fragen Sie? Sie kennt sie alle seit über zwanzig Jahren.«
»Aber sie lebte doch nicht im Exil, oder?«
»Natürlich nicht.«
»Kam sie wegen Friedrich?« platzte Monk heraus und fragte sich im selben Moment, ob er zu unverblümt gewesen war, um eine offene Antwort zu bekommen.
Ein Grieche und ein Levantiner schlenderten vorbei, und der Wind wehte den Geruch von Lavendelöl und Lorbeer zu ihnen herüber. Sie führten eine hitzige Diskussion in einer Sprache, die Monk nicht einordnen konnte.
Stephan lachte. »Ob sie in ihn verliebt war? Sie können nicht viel über Zorah wissen, wenn Sie so etwas fragen. Sie war es vielleicht einmal vor langer Zeit, aber sie würde nie ihre Leidenschaft oder ihren Stolz an einen Mann verschwenden, den sie nicht gewinnen kann.« Er lehnte sich zurück und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Sie hat im Laufe der Jahre viele Liebhaber gehabt. Friedrich war wohl einer von ihnen, und zwar vor Gisela. Aber seitdem hat es andere gegeben, das kann ich Ihnen versichern. Zwei Jahre lang liebte sie einen türkischen Räuber. Und dann gab es noch einen Musiker in Paris; allerdings weiß ich nicht, wie lange das gedauert hat. Er war zu sehr auf seine Musik fixiert, um ihr genügend zu bieten. In Rom hatte sie auch mal jemanden, aber ich kenne seinen Namen nicht. Sie hat auch einen Amerikaner geliebt. Das dauerte eine ganze Weile, aber sie wollte ihn nicht heiraten.« Er lächelte noch immer. Um das immer lauter werdende Gerede um sie herum zu übertönen, mußte er jetzt die Stimme heben. »Sie liebt es, Grenzen zu erforschen, aber sie wollte nirgendwo länger leben. Es gab auch einen Engländer. Er tat alles für sie, und ich glaube, er hat ihr sehr viel bedeutet. Und natürlich hatte sie auch einen Venezianer. Er war auch der Grund für ihre vielen Besuche. Ich glaube, mit ihm war sie ziemlich lange zusammen.«
»Ist er noch hier?«
»Nein, er ist leider gestorben. Er muß älter als
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