Die russische Gräfin
getötet hat?« fragte Monk, einem Impuls folgend.
Waldo zögerte nicht einen Moment. »Nein. Sie ist für die Unabhängigkeit. Sie glaubt, daß wir wie Andorra oder Lichtenstein allein durchaus überleben können.« Er lächelte Monk fast verschmitzt an. »Wenn Gisela das Opfer gewesen wäre, dann hätte ich Ihnen mit Sicherheit eine andere Antwort gegeben…«
Monk war ganz benommen. Die vielen Möglichkeiten rasten nur so durch seinen Kopf. War es vorstellbar, daß Zorah Gisela hatte töten wollen, doch aufgrund eines grotesken Mißgeschicks Friedrich umgebracht hatte? Oder hätte es statt ihr jemand anders sein können? Rolf zum Beispiel, entweder seiner Schwester, der Königin, zuliebe oder aus eigenem Antrieb? Dann hätte ja nichts mehr Friedrich an der Rückkehr gehindert. Oder war es Brigitte gewesen, weil sie Friedrichs Frau und eines Tages Königin werden wollte? Oder gar Lord Wellborough, um einen Unabhängigkeitskrieg zu fördern, an dem er sich eine goldene Nase verdient hätte?
Monk murmelte eine höfliche, belanglose Antwort, bedankte sich bei Waldo für seine Gastfreundschaft und entfernte sich, über die Maßen aufgewühlt.
In der Nacht fuhr Monk abrupt hoch, als hätte ihn etwas aufgeschreckt. Er lauschte angestrengt in die Dunkelheit, hörte aber keinen Laut.
Die gleiche Angst hatte er beim Anlegen der Manschetten empfunden, ein Gefühl der Isolation, das übermächtig gewesen wäre, hätte er nicht das Gefühl gehabt, daß es irgendwo einen Menschen gab, der an seine Unschuld glaubte und bereit war, seine Sicherheit zu opfern, um ihm zu helfen.
Gab es jemanden, der Gisela beistehen würde, oder hatte sie nach der Heirat mit Friedrich auf die Freundschaft anderer verzichtet? Lebte sie wirklich nach dem Motto: Alles für die Liebe und die Welt verloren?
Aber bei Monks Mentor hatte es sich um eine andere Art von Liebe gehandelt, nämlich um eine bedingungslose Freundschaft, die man sich für das ganze Leben bewahrt. Und dieser Mann hatte seinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt, um seinem jungen Schützling zu helfen, soviel wußte Monk inzwischen. Man hatte ihn wegen Unterschlagung angeklagt, und sein Freund hatte sich mit seinem Namen und seinem Vermögen für Monks Unschuld verbürgt. Ihm hatte er es zu verdanken, daß geforscht wurde, bis die Wahrheit an den Tag kam.
Während er schweißgebadet und fröstelnd in der kalten Nachtluft dasaß, wurde Monk klar, daß er diese Schuld nie zurückgezahlt hatte. Als er rehabilitiert war und sein Freund in Schwierigkeiten steckte, da war er nicht in der Lage gewesen, ihm zu helfen. Seine ganzen Besitztümer hatten nicht ausgereicht. Am Ende hatte sein Mentor alles verloren: Haus, Ehre, Leben.
Monk hatte seine Schuld nie zurückzahlen können. Und jetzt war es zu spät.
Mit einem Gefühl von Leere und Einsamkeit legte er sich wieder zurück. Er hatte einen unwiederbringlichen Verlust erlitten.
Was ihm auch gegeben worden war, er mußte es jemand anderem zurückgeben.
Am folgenden Nachmittag wurde Monk am Hof eingeführt. Er mußte erfahren, ob der Mordanschlag eventuell Gisela hätte gelten können. Freilich graute ihm davor, Rathbone darüber zu informieren.
Und doch erschien von allen möglichen Antworten seine erste Theorie, daß vielleicht Zorah Friedrich getötet hatte, als die am wenigsten schreckliche. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn es Prinz Waldo gewesen war, um zu verhindern, daß Friedrich das Land in einen Krieg stürzte. Oder wenn Rolf im Auftrag der Königin Gisela hätte ausschalten sollen, um Friedrich den Rückweg zu ebnen, und durch einen tragischen Irrtum den Falschen umgebracht hatte. Wie würden die britische Justiz und die ganze Gesellschaft dann reagieren? Wie würden sich die Diplomaten des Außenministeriums in Whitehall ehrenhaft von diesen Fallstricken befreien? Wie würde es mit dem Frieden in Europa aussehen?
Und wieviel von all dem wußte oder verstand Zorah?
Königin Ulrike war eine phänomenale Frau. Monk hatte schon viel über ihren eisernen Willen gehört, aber mit einer derart beeindruckenden Persönlichkeit hatte er nicht gerechnet. Als er sie beim Eintreten aus der Ferne sah, hielt er sie für großgewachsen. Ihr glänzendes weißes Haar war hoch aufgetürmt und oben um ein funkelndes Diadem wie eine Krone geflochten. Ihre Züge waren markant, ihre Augenbrauen zwei gerade Linien. Sie trug ein Samtkleid in den Farben Elfenbeinweiß und Austernbraun; der Reif unter ihren Röcken war so klein, daß
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