Die russische Herzogin
gläsernen Oberfläche entlang.
»Wenn es nach dir ginge, müsste ich jede freie Minute des Tages mit dir verbringen. Und wahrscheinlich wäre dir selbst das nicht genug. Immer willst du irgendetwas von mir! Merkst du denn nicht, wie du mir damit die Luft abschnürst? Dein ewiges Verlangen, deine Sehnsüchte, dein waidwunder Blick, wenn ich deinen Anforderungen wieder einmal nicht gerecht werde. Du hast den falschen Mann geheiratet, sieh das endlich ein, Olly! Dir und deinen Ansprüchen werde ich nie genügen.«
Taumelnd, als hätte sie einen Schlag gegen den Kopf erhalten, hielt sich Olly an der Kante von Karls Schreibtisch fest.
»Wiekannst du so etwas sagen?«, flüsterte sie rau. Jedes Wort kroch nur mühsam aus ihrer kratzigen Kehle. »Ich … ich liebe dich doch. Und ich bin deine Frau …«
»Als ob ich das nicht wüsste«, sagte er gequält. »Umso mehr müsste dir daran gelegen sein, dass es mir gutgeht. Dass ein Mann neben seiner Ehe auch Männerfreundschaften pflegt, daran ist nun weiß Gott nichts Besonderes. Du hingegen hast von Anfang an ein großes Theater deswegen gemacht. Wenn ich nur daran denke, wie du einst Hackländer vergrault hast! Mit ihm hat alles angefangen, seitdem stehst du jedem Mann, mit dem ich mich näher anfreunde, feindselig gegenüber. Du hattest in St. Petersburg doch auch deine Hofdame Anna. Jede Minute habt ihr miteinander verbracht, Tag für Tag, diese Frau hat dich angebetet, du warst ihr Ein und Alles. Und hier hast du Evelyn. Habe ich je einen Ton darüber verloren, wie viel Zeit ihr zwei miteinander verbringt? Mir jedoch gönnst du solch einen loyalen, lieben Vertrauten nicht. Warum siehst du nicht endlich ein, dass du keinen alleinigen Anspruch auf mich hast? Warum kannst du nicht akzeptieren, dass ich Bedürfnisse habe, die –« Nun war er es, der nach Worten rang. »Manchmal bin ich einfach lieber mit Wilhelm zusammen als mit dir. Er gibt mir etwas, was mir bisher noch kein Mensch in diesem Maß gegeben hat«, brach es dann aus ihm hervor. Er trat ans Fenster, schaute hinaus auf den Schlossplatz.
Olly hingegen hatte ihr unstetes Umherlaufen aufgegeben und sich auf einem Stuhl vor Karls Schreibtisch niedergelassen. Sie fühlte sich noch immer fremd und nicht willkommen hier in diesem Raum. Tausendundein Gedanken schossen ihr durch den Sinn, so vieles lag ihr auf der Zunge zu sagen, aber es gelang ihr nicht, Ordnung in das Wirrwarr in ihrem Kopf zu bringen. War sie wirklich so besitzergreifend?
Als sich Karl ihr schließlich zuwandte, lag etwas Demütiges, um Verzeihung Heischendes in seinem Blick.
»Olly, Liebes, unsere Ehe ist doch gar nicht so schlecht. Wenn ich mir anschaue, wie wir die schweren Kriegsjahre gemeistert haben … Ich bewundere dich so sehr für alles, was du für unser Land getanhast! Du und ich – alles in allem sind wir doch ein gutes Paar. Deshalb flehe ich dich an: Lass mir meine kleinen Freiheiten! Verfolge mich nicht ständig mit deiner Eifersucht. Hast du mich je in den Armen einer anderen Frau gesehen? Habe ich dir jemals so viel Leid angetan, wie deine Brüder mit ihren unzähligen Mätressen es ihren Gattinnen bereiten?« In seine letzten Sätze hatte sich ein flehentlicher Unterton eingeschlichen.
Olly seufzte. Es gibt verschiedene Arten von Leid, wollte sie sagen. Doch auf einmal fühlte sie sich schlecht. Hatte dieses Gespräch wirklich sein müssen?
Ja! , zischte eine kleine Stimme in ihrem Ohr. Und es ist noch nicht beendet, deine Zweifel sind nicht ausgeräumt, sondern unter beschwichtigenden Worten begraben!
Nein! , flüsterte eine andere Stimme. Du weißt doch, wie sensibel Karl ist. Warum also quälst du ihn mit deinen übersteigerten Ansprüchen?
»Du hast recht, wir haben wirklich einiges Gutes erreicht«, sagte sie traurig.
»Siehst du«, erwiderte er fast triumphierend. »Dann höre bitte endlich damit auf, Wilhelm schlechtreden zu wollen. Er ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Daran wird sich nichts ändern. Entweder du gewöhnst dich daran, oder …« Er zuckte in einer Art mit den Schultern, die man für beiläufig hätte halten können. Olly hingegen las eine solch gleichgültige Kühle aus der Geste heraus, dass es sie fröstelte.
19. KAPITEL
I m großen Saal des Schlosstheaters flirrten Staubkörner im hereinfallenden Sonnenlicht wie kleine Diamanten in der trockenen Luft. Während der Mann am Klavier, der die Übungsstunde der Balletttruppe begleitete, sich immer wieder mit einem Taschentuch den
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