Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
vom Wasen
    So frisch durch Wald und Tal!
    Da wallt unwiderstehlich
    Mein alt Soldatenblut …
    Lächelnd überflog Evelyn das Gedicht, welches Wera zu Ehren der heimkehrenden Soldaten verfasst hatte. Verziert mit einer umlaufenden Girlande aus Eichenblättern und Miniaturtrompeten, prangte es neben jedem Gedeck auf allen langen Tafeln, aber auch am Haupttisch, an dem das Königspaar und sie saßen.
    »Wera und ihr alt Soldatenblut  – in dieser Hinsicht ist sie wahrlich Nikolaus’ Enkelin.« Kopfschüttelnd legte Karl das Blatt zur Seite.
    Olly schmunzelte. »Ich befürchte, in den letzten Monaten hat sie nichts so sehr bereut wie die Tatsache, nicht als Mann geboren worden zu sein. Sonst wäre sie auf jedem Schlachtfeld vorangestürmt.«
    Innerlich atmete Evelyn auf. Sie hatte den Streit der beiden am späten Nachmittag am Rande mitbekommen, nun aber schienen die Zeichen auf Frieden zu deuten, nicht nur, was die große Politik anging, sondern auch die Stimmung zwischen König und Königin.
    »Dieser schreckliche Krieg! Er hat viel zu lange gedauert, ich danke Gott, dass er vorbei ist. Nun können wir endlich frohen Herzens in die Zukunft schauen«, sagte sie und hob ihr Glas wie zu einem Toast.
    Karl warf einen Blick hinüber zum Nachbartisch, wo Ollys zweite Ehrendame, Gräfin Taube, zusammen mit ihrem Gatten saß. Beide starrten mit leerem Blick vor sich hin. Sofort bereute Evelyn ihre Worte.
    »Und was ist mit den Abertausenden von Familien, die heute nicht die Heimkehrer feiern, sondern einen im Krieg verlorenen Sohn, Bruder oder Vater beweinen? Oder wie im Fall der Taubes gleich zwei Söhne? Und ob es den Kriegsversehrten mit ihren amputiertenGliedmaßen, ihren weggeschossenen Augen und ihren Hirnverletzungen leichtfallen wird, frohen Herzens in die Zukunft zu schauen, bezweifle ich ebenfalls. Fast fünfundvierzigtausend Tote haben die deutschen Truppen zu betrauern!«
    Evelyn schlug betroffen den Blick nieder.
    »Karl, bitte …« Grimmig lächelte Olly ihren Mann an. »Dein Mitgefühl in allen Ehren, aber heute ist dennoch ein Tag der Freude und der Dankbarkeit. Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, wir müssen froh sein, dass der Krieg überhaupt schon zu Ende ist. Dieses Fest heute – damit feiern wir wahrlich das Leben. Die vielen Blumen, Lorbeerzweige und Gebinde aus Eichenlaub, die goldenen Girlanden, dazu Weras Gedicht – nach den Grauen des Krieges haben unsere Soldaten ein solch schönes Fest verdient!«
    Wer Olga und Karl an diesem Abend sah, wäre nicht auf den Gedanken gekommen, dass auch nur der Hauch von Missstimmung zwischen ihnen herrschte. Sowohl der König in seiner hochdekorierten Uniform als auch die Königin in ihrer goldfarbenen Robe sahen bewundernswert aus. Während Karl sein Alter jedoch nicht abstreiten konnte, hätte Olly mit ihren neunundvierzig Jahren für eine gut zwanzig Jahre jüngere Frau durchgehen können: Ihre Haut war nach wie vor faltenfrei und voller Spannkraft, ihr Blick klar, ihre Haarpracht so voll und glänzend wie eh und je. Und anders als bei Evelyn, die im Laufe der Zeit etwas Gewicht zugelegt hatte, war Ollys Taille noch immer die eines jungen Mädchens.
    »Was für ein würdiges Königspaar!« war der allgemeine Tenor, der an diesem Abend unter den Gästen herrschte. Selbst Evelyn konnte sich der allgemeinen Bewunderung an diesem Tag nur anschließen.
    Im nächsten Moment sah sie Wera auf ihren Tisch zukommen. Ihr grüner Rock wehte wie eine Fahne über den Boden, ihr Perlentäschchen baumelte an einem Bügel nachlässig am rechten Handgelenk, ein paar Locken hatten sich unter dem samtenen Haarband gelöst. Wera, der Wirbelwind! Manche Dinge änderten sich wirklich nie, dachte Eve schmunzelnd. Seltsam war jedoch, wie viel Schmucksie angelegt hatte. Und hatte sie nicht auch eine Spur zu viel Lippenrot aufgetragen?
    Auch Olly runzelte bei Weras Anblick skeptisch die Stirn. »Seltsam – dass das Kleid so weit ausgeschnitten ist, habe ich im Modesalon gar nicht bemerkt«, murmelte sie. Laut sagte sie: »Du kommst rechtzeitig zum Essen, setz dich. Es gibt herrliche Speisen wie –«
    »Sprich bitte nicht weiter«, unterbrach Wera die Königin mit einer übertrieben flehentlichen Miene. »Mir ist vor lauter Hunger schon ganz blümerant zumute. Aber mein Kleid ist so eng, dass ich ans Essen nicht einmal denken darf«, sagte sie und zupfte ein paar Weintrauben ab, die eigentlich ein Teil der Tischdekoration sein sollten.
    »Was soll’s! Ich

Weitere Kostenlose Bücher