Die russische Herzogin
möchte sowieso hinaus auf die Terrasse zu Wily und Eugen, bevor sie mir wieder entwischen. Lutz von Basten habe ich auch noch nicht entdeckt. Dabei sollen die drei mir doch alles über den Krieg erzählen! Und davon abgesehen habe ich heute noch etwas anderes vor. Du weißt schon …« Lässig winkend sprang sie davon.
»Was meinte sie denn damit?«, fragten Karl und Evelyn wie aus einem Mund. Kopfschüttelnd schaute Evelyn der jungen Frau nach. Täuschte sie sich oder prangten unter Weras Armen … Schweißflecken? Sie hoffte inständig, dass ihre Augen im Licht der unzähligen Kronleuchter sie getäuscht hatten.
»Andere junge Frauen würden sich wünschen, dass die Kavaliere ihnen recht viele Komplimente machen, unsere Wera hingegen will Kriegsgeschichten hören«, murmelte Karl missmutig vor sich hin. »Das Mädchen ist und bleibt einfach unmöglich.«
Evelyn war froh, dass in diesem Augenblick die Suppe aufgetragen wurde. Sie konnte gut darauf verzichten, dass die Differenzen zwischen Wera und dem Königspaar erneut hochkochten. Vielmehr hoffte sie, dass sich das Verhältnis der Familienmitglieder endlich wieder bessern würde. Schlechter, als es seit Beginn der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Frankreich war, konnte es jedenfalls nicht werden …
»Alleanderen Landesherren haben Preußen längst ihren Beistand zugesagt!«, hatte Wera entsetzt gerufen, als Karl im Frühsommer des letzten Jahres davon sprach, im drohenden Krieg neutral bleiben zu wollen.
»Neutralität ist etwas für Feiglinge! Außerdem: König Wilhelm ist doch Ollys Onkel – heißt es nicht, Blut sei dicker als Wasser?«, hatte sie heftig hinzugefügt. Ollys Bemerkung, dass ihr Onkel nicht die treibende Kraft hinter dem Krieg mit Frankreich war, sondern dass Bismarck dahintersteckte, dessen politischen Motiven sie misstraute, wischte Wera beiseite.
»Als ob ein Kanzler mehr Macht hätte als der Preußenkönig selbst! Eure Antipathie gegen Bismarck ist mir unverständlich. Tatsache ist doch: Es waren die Franzosen mit ihrer selbstherrlichen Arroganz, die mit dem ganzen Streit angefangen haben, und nicht Bismarck«, erwiderte sie. »Die Demütigung des preußischen Königs ist eine Demütigung für alle Deutschen. Von daher wird es höchste Zeit, dass jemand die Franzosen in ihre Schranken weist.«
Karl und Olly waren entsetzt gewesen, zu hören, wie deutschpatriotisch Wera auf einmal klang. Nicht, dass ihre Ziehtochter damit eine Ausnahme gewesen wäre. »Nieder mit den Franzosen!«, hieß es auf allen Straßen, in allen Salons der Stadt.
Doch Karl, der sich Kaiser Napoleon freundschaftlich verbunden fühlte und im Grunde seines Herzens ein sehr friedliebender Mensch war, zögerte weiter, württembergische Männer in den Kampf zu schicken. Und er wurde darin von Olly bestärkt.
»Dir ist doch klar, was Bismarck vorhat?«, sagte sie während eines intimen Abendessens. »Indem er nun, im Kriegsfall, alle Länder an die Seite Preußens bringt, legt er den Grundstein zu einem späteren politischen Bündnis, ganz gleich welcher Art. Karl, wenn wir jetzt Seite an Seite mit Preußen schreiten, dann können wir unsere Selbständigkeit in naher Zukunft abschreiben! Dann wird bald mein Onkel Wilhelm in Stuttgart das Sagen haben, oder schlimmer noch, sein Kanzler Bismarck. Das haben wir doch nicht nötig, oder?«
Evelyn hatte Ollys Haltung ein wenig überzogen empfunden, dochfür Karl waren Ollys Worte wie Balsam gewesen. Nein, sie brauchten Preußen und seine Einmischung weiß Gott nicht. Ganz gleich, was zahlreiche Kritiker ihm vorwarfen – ging es seinem Land unter seiner Führung nicht prächtig? Das einstige Bauernland Württemberg war im Begriff, zu einem wohlhabenden Industriestaat zu werden, und das gänzlich ohne Bodenschätze. Sie waren auf dem richtigen Weg. Ein Krieg würde ihre wirtschaftliche Entwicklung nur unnötig verzögern.
Doch gedrängt von preußischen Diplomaten und nicht zuletzt auch vom russischen Kanzler Gortschakow, blieb Karl am Ende nichts anderes übrig, als Württembergs Kriegseintritt zuzustimmen. Dass ihr Bruder, Zar Alexander II., in dieser Angelegenheit nicht auf ihrer Seite stand, enttäuschte Olly bitter. In ganz Stuttgart hingegen brach lauter Jubel los.
»Treu zu Württemberg! Unverbrüchlich zu Deutschland!«, so brachte es einer der Gemeinderäte bei seiner Ansprache auf einen Nenner.
Wera jubelte am lautesten mit.
Als der Krieg schließlich auch Württemberg betraf, tat die Königin,
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