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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Rassel, dass sie ihm aus der Hand fiel. Mit einem Lächeln hob Wera sie auf, wischte mit ihrem Taschentuch ein wenig Sand ab, dann reichte sie das Spielzeug wieder ihrem Sohn.
    Ihre Schwiegermutter Mathilde würde bestimmt einen Luftsprung vor Freude machen, wenn sie den Enkel leibhaftig und nicht nur auf einer düsteren Fotografie zu Gesicht bekäme.
    Vielleicht war die Reise nach Schlesien doch eine gute Idee?

29. KAPITEL
    D ie Fahrt verlief ohne größere Probleme. Die ersten paar hundert Kilometer legten sie komfortabel mit der Eisenbahn zurück. Wera, die in ihrem Leben nur sehr wenig gereist war, genoss es, die unterschiedlichen Landschaften an sich vorbeiziehen zu sehen: Das Neckartal mit seinen Weinbergen, in denen die Weinbauern nun zur Erntezeit wie Ameisen in ihren Hügeln wuselten. Die sanft geschwungene Landschaft der Sächsischen Schweiz mit ihren vielen pittoresken Burgen, die Dresdner Heide, die gar keine Heidelandschaft war, sondern ein riesiges Waldgebiet. Sooft es ging, stieg Wera an den Bahnhöfen aus und begutachtete neugierig die Waren der fliegenden Händler. Statt den Einkauf des Proviants für die nächste Wegstrecke ihrer mitgereisten Köchin und dem Laufjungen zu überlassen, zückte sie selbst den Geldbeutel und kaufte ein: erntefrische Äpfel, dunkel gebackenes Brot, kräftig riechender Käse und Schinken, frisch aus der Räucherkammer.
    Eugen betrachtete ihr Treiben kopfschüttelnd, er fand Weras Volksnähe übertrieben und war nicht bereit, diese zu teilen. »Du kommst schon selbst bald wie eine Bäuerin daher«, tadelte er sie. Statt Kontakt zur Bevölkerung zu suchen, hielt er selbst viel lieber ausgedehnte Nickerchen – sehr zu Weras Verdruss, die sich mit ihm unterhalten wollte. Aber Eugen war tagsüber meist müde von den nächtlichen Feiern, zu denen sie von ihren wechselnden Gastleuten eingeladen wurden. Obwohl Wera ihre neue Schwangerschaft nur wenigzu schaffen machte, war sie abends ausgelaugt. Von daher lag sie meist schon vor Mitternacht im Bett – nicht, ohne zuvor bei Klein-Egi vorbeigeschaut zu haben, der mit dem Kindermädchen in einem Nebenzimmer untergebracht wurde. Während sie ermattet schlief, feierte Eugen oftmals bis in die Morgenstunden. Um die ausgedehnten Zechgelage zu umgehen, schlug Wera Eugen vor, in Gasthöfen statt bei befreundeten Adelsfamilien zu übernachten. So kämen sie wenigstens alle zu einer geregelten Nachtruhe. Doch er lachte sie ob ihres abwegigen Vorschlags nur aus.
    In Görlitz wechselte die herzogliche Entourage von der Eisenbahn auf Pferdekutschen um. Wera und Eugen teilten sich einen Wagen, Clothilde, das Kindermädchen und Klein-Egi einen weiteren, ein dritter Wagen kutschierte die Köchin, ihren Helfer und das Gepäck. Von nun an bestimmten karge, fast eintönige Landschaften das Bild. Die hügelige Landschaft wurde immer ebener, aus Tälern wurden kahle Moorlandschaften mit schwarzer Erde.
    Klein-Egi, der die Reise in der Eisenbahn problemlos überstanden hatte, wurde im unsteten Geruckel der Kutsche quengelig. Nachdem sie die Grenze zu Schlesien passiert hatten, weinte er zwei Tage ohne Unterlass. Wera wiegte ihren Sohn, sie sang ihm vor und wurde fast wahnsinnig vor Sorge.
    »Was hat er nur? Ist er krank? Oder schwächt ihn die lange Fahrt zu sehr?«
    Das Kindermädchen und Madame von Roeder zuckten hilflos die Schultern.
    »Vielleicht hat er Hunger?«, schlug die Köchin vor, die den Säugling wie alle anderen ratlos anstarrte.
    Wera ließ die ganze Reisegesellschaft pausieren, damit die Köchin ihrem Sohn einen warmen Haferbrei zubereiten konnte.
    »Wenn du weiter solch ein Theater aufführst, kommen wir nie an«, sagte Eugen, der dem Treiben ungeduldig zuschaute. »Lass den Buben doch heulen, das kräftigt nur seine Lungen und sein Sprechorgan! Wahrscheinlich ist es eh bloß ein Furz, der nicht herauswill und Klein-Egi quält.«
    »Blähungen?«Weras Miene hellte sich auf. Sogleich bestand sie darauf, höchstpersönlich das Anlegen frischer Windeln zu übernehmen.
    Als ihr Sohn nackt vor ihr lag, traf sie fast der Schlag: Der kleine Körper war übersät mit einem guten Dutzend Mückenstichen!
    »Was … ist das?«, fragte sie mit bebender Stimme das Kindermädchen und erfuhr daraufhin, dass das junge Ding vor ein paar Tagen des Nachts ein Fenster hatte offen stehen lassen. Auch sie selbst sei am nächsten Morgen völlig zerstochen gewesen.
    Bevor Wera wusste, was sie tat, versetzte sie dem Kindermädchen eine Ohrfeige, welche

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