Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
Rand seiner schmutzigen Brille hinweg schaute er Wera fragend an. »Wann und wo genau ist der Säugling in Kontakt mit Stechmücken getreten?«
    Wera und das Kindermädchen tauschten einen Blick.
    »Auf der Reise hierher, kurz nachdem wir die schlesische Grenze passiert hatten. In einer schwülen Nacht sind wohl ein paar der Blutsauger in unsere Räume gekommen …«, sagte Wera mit belegter Stimme. »Sind die Mückenstiche etwa schuld an Eugens Fieber?«
    Das Kindermädchen stieß ein leises Wehklagen aus, als der Säugling erneut zu weinen begann.
    DerArzt zuckte mit den Schultern. »Möglich wäre es. Ich selbst habe noch nie einen solchen Fall zu Gesicht bekommen. Aber die Beschreibung in den Lehrbüchern deckt sich mit den Symptomen des Kindes. Dagegen spricht jedoch, dass meinem Wissen nach in Schlesien schon seit Jahren kein Fall von Marschfieber mehr aufgetreten ist. In früheren Jahren, als die Moore noch nicht trockengelegt waren, gab es ganze Epidemien! Vor allem während der Erntezeit waren die Viecher aktiv. Erntefieber – so nannte man die Krankheit im Volksmund. Drei Tage Dauer sind die Regel«, dozierte der Arzt mit laut erhobener Stimme, um das Weinen des Kindes zu übertönen. »Dann ist das Fieber überstanden und die Gesundung beginnt.«
    »Heißt das, wir sollen drei Tage seelenruhig zuschauen, wie sich Egi quält?«, rief Wera hysterisch. »Tun Sie etwas, sofort! Oder sagen Sie uns, was wir tun können. Es muss doch eine Medizin gegen diese Art von Fieber geben?«
    »Kalte Wickel, stärkende Mahlzeiten, Ruhe – die klassischen Heilmittel bei jeder Art von Fieber.« Mit einem Klick schloss der Arzt seine Tasche. »Sollte sich der Zustand des Kindes verschlechtern – ich bin ganz in der Nähe. Schließlich findet heute Nachmittag doch die große Ruderregatta statt, zu der mich Ihr Gatte freundlicherweise eingeladen hat.«
    Es war ein schönes Bild, das sich den Ruderern und den Zuschauern gleichermaßen bot: Umrahmt von herbstlich eingefärbten Eichen und Linden, lag der größte der vom verstorbenen Herzog künstlich angelegten Seen inmitten der ebenfalls künstlich angelegten sanft gewellten Wiesen wie ein blauer Saphir auf einem Samtkissen. Ein halbes Dutzend Ruderboote hatten sich am unteren Ende des Sees versammelt. Die Aufregung der Insassen war für die Zuschauer, die in kleinen und größeren Grüppchen am Ufer standen und ihren Favoriten letzte aufmunternde Worte zuriefen, fast greifbar. Das Boot von Herzog Eugen, Gastgeber und Initiator der Regatta, war außer mit einigen Lampions zusätzlich noch mit einer blauen Schleife geschmückt worden.
    Normalerweisewäre eine solche Veranstaltung ganz nach Weras Geschmack gewesen. Die hübsch geschmückten Boote. Der Kampf von Mann gegen Mann, oder besser gesagt, von Mannschaft gegen Mannschaft. Die kristallklare Luft. Die Gäste, die ihr unverfälscht und sehr sympathisch erschienen. Mitglieder des Regierungspräsidiums von Oppeln waren genauso gekommen wie der Landrat des Kreises und viele Landadlige. Die meisten hatten ihre Frauen, manche auch ihre Kinder mitgebracht. Einige Damen standen hinter improvisierten Ständen und wachten über die Kuchen und die Bowle, die es im Anschluss an die Regatta geben sollte.
    Alle schauten nun wie gebannt zu Wera, die den Startschuss geben sollte.
    Wera hingegen blickte wütend zu dem jungen Arzt hinüber, der ein paar Meter von ihr entfernt stand und sich mit einem Glas Sekt in der Hand mit anderen Herren unterhielt. Als ob keine Sorge der Welt ihn belastete! Vor allem nicht die Sorge um Klein-Egi, der fiebergeplagt nur wenige Hundert Meter weiter im Schloss lag.
    Der Gedanke an ihren Sohn ließ Wera aufstöhnen. Das ungute Gefühl in ihrem Bauch wurde von Minute zu Minute heftiger. Was tat sie hier inmitten dieses Frohsinns? Warum nur hatte sie auf Mathilde und Eugen gehört und war gegangen, anstatt bei ihrem Sohn zu bleiben?
    Ein Räuspern riss sie aus ihren düsteren Gedanken.
    »Verehrte Herzogin? Alle wären bereit …« Der Verwalter des Schlosses trat auf sie zu und reichte ihr vorsichtig eine Pistole.
    Wera, die sich seit ihrer ersten jugendlichen Schwärmerei für Eugen für alles Militärische interessierte, erkannte die kleine, aus Suhler Waffenschmieden stammende Kavallerie-Pistole sofort: Mit ihrem flachen, bündig in das Schaftholz eingelassenen Schlossblech und den silbernen Beschlägen war die Waffe zwar elegant, konnte aber laut Eugen, Lutz von Basten und anderen Mitgliedern des

Weitere Kostenlose Bücher