Die russische Herzogin
fragte sie sich im selben Moment stumm. Um mit Eugens Mutter Tag für Tag im Salon zu hocken, war das geblümte Baumwollkleid gut genug.
»Ich dachte, du wolltest mit Vaters Advokaten die Pachtverträge unserer Bauern überprüfen?«, wandte sich nun Mathilde stirnrunzelnd an ihren Sohn. »Unsere Pächter müssen schließlich wissen, woran sie sind.«
Eugen winkte ab. »Der lästige Schreibkram kann bis morgen warten, an solch einem herrlichen Herbsttag habe ich weiß Gott Besseres zu tun.« Mit einem Lächeln nahm er Wera an die Hand und wollte sie zurückführen zu dem kleinen runden Tisch am Fenster, an dem sie mit seiner Mutter gesessen hatte.
Doch Wera blieb mitten im Raum stehen. »Du hast recht, das Wetter ist so schön, dass man zwei draus machen könnte! Wie wäre es, wenn wir zusammen spazieren gehen? Oder steht dir der Sinn eher nach einer Kutschfahrt? Wir könnten Klein-Egi mitnehmen und –«
»Hastdu etwa vergessen, dass heute Nachmittag die Ruderregatta stattfindet?«, unterbrach Eugen sie.
»Eine Ruderregatta! Das hätte deinem Vater auch gefallen«, rief Mathilde mit glänzenden Augen.
Wera spürte, wie Unmut in ihr emporstieg. Heute war es die Ruderregatta, am gestrigen Tag ein Weinfest bei einem befreundeten Landgrafen. In der Woche davor waren es zwei Jagden gewesen. Und ein Pferderennen. Und ständig war Eugen allein unterwegs, während sie den lieben langen Tag damit verbringen musste, Mathildes Erinnerungen an ihren geliebten Mann zu lauschen. Sie hatte Eugens Mutter wirklich gern, aber ihren Aufenthalt in Bad Carlsruhe hatte sie sich anders vorgestellt.
»Jetzt schau nicht so griesgrämig«, sagte Eugen. »Ich möchte, dass du den Startschuss gibst. Schließlich bist du die Gattin des offiziellen Besitzers von Schloss Carlsruhe, wem sonst sollte eine solche Ehre gebühren? Also, zieh dir etwas Hübsches an und sei Punkt zwei Uhr am Ufer des Sees. Aber behäng dich bloß nicht mit deinen unzähligen Perlenketten, wir sind hier nicht in Stuttgart!«, sagte Eugen und ging gutgelaunt davon, ohne Weras Antwort abzuwarten.
Konsterniert schaute Wera ihm nach. Für wie dumm hielt Eugen sie eigentlich? Glaubte er wirklich, sie würde bei einem Ausflug zum See ihre teuersten Geschmeide tragen?
»Er hätte mich wenigstens fragen können, ob ich Lust auf dieses Spektakel habe«, sagte sie dann zu ihrer Schwiegermutter.
Mathilde lachte. »Natürlich hast du Lust, das weiß er doch! Seit Tagen beklagst du dich schließlich darüber, dass er so wenig mit dir unternimmt. Nun, scheinbar hat er sich deine Worte zu Herzen genommen. Dein Mann möchte dich an seiner Seite haben, darüber solltest du dich freuen.«
»Das tue ich ja auch«, antwortete Wera gequält. »Aber dass Eugen über mich verfügt, als wäre ich sein Lakai, gefällt mir nun einmal nicht. Und wie es Klein-Egi geht, interessiert ihn scheinbar auch nicht.« Frustriert biss sich Wera auf die Oberlippe. Im nächsten Moment spürte sie Mathildes tröstende Hand auf ihrem Arm.
»Soweit denkt Eugen einfach nicht, aber du darfst ihm deswegen nicht böse sein. Eugen ist wie sein seliger Vater … Ein bunter Schmetterling, der voller Lebensfreude von einer Blüte zur anderen fliegt. Er nippt hier, er kostet da und lässt sich vom Wind erst hierhin tragen und gleich darauf wieder woandershin. Ach, diese Lebensart! Wie oft habe ich meinen Mann dafür und für die Leichtigkeit, mit der er alles nahm, beneidet …« Mathilde zuckte in einer Art, die gleichermaßen Verzeihen wie Resignation ausdrückte, die Schultern. »Kann man einem Schmetterling böse sein?«
Wenn Eugen ein Schmetterling war, was war dann sie?, fragte sich Wera stumm. Ein dicker Engerling? Eine Raupe, die es nicht bis zur Entpuppung schaffte? Ihre düsteren Gedanken verflogen, als sie Klein-Egis Kindermädchen im Türrahmen stehen sah. Unruhig trat es von einem Bein aufs andere.
»Gnädige Frau, ich störe nur ungern, aber … Der junge Herzog Eugen, ich glaube, sein Fieber ist gestiegen …«
»Die Symptome deuten auf Marschfieber hin«, sagte der blutjunge Arzt. »Das plötzliche hohe Fieber, die Unruhe, die leichte Gelbfärbung der Skleren …«
»Skleren?«, hauchte Wera, die vor Sorge kaum mehr einen Atemzug machen konnte.
»Die Augen«, sagte der Arzt und hielt seinen kleinen Finger an Klein-Egis rechtes Auge. »Sie sind gelb verfärbt. Dazu diese entzündeten Kratzwunden, meiner Ansicht nach rühren sie von irgendwelchen alten Insektenstichen her.« Über den
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