Die russische Herzogin
Ulanenregiments in puncto Reichweite und Treffsicherheit mit dem Vorgängermodell nicht mithalten.
Ein unwilliges Lächeln zog über Weras Gesicht. Für sie als Frau und zum Signalgeben war die Waffe scheinbar gut genug.
Ohneviel Federlesens hob sie die Pistole mit beiden Händen in die Höhe, zählte bis drei und feuerte einen Schuss ab, der nicht nur in ihren, sondern sicher auch in den Ohren der Umstehenden betäubend laut widerhallte.
Unter den lauten Anfeuerungsrufen der umstehenden Gäste legten die Ruderer los. Wasser spritzte, als die Paddel ins Wasser tauchten, einige umstehende Damen bekamen ein paar Tropfen ab und kreischten künstlich und zu laut.
Die Männer in ihren Booten hatten das gegenüberliegende Ufer noch nicht ganz erreicht, als Weras Blick von einem weißen Schatten abgelenkt wurde, der sich über die Wiese fliegend auf sie zubewegte: Klein-Egis Kindermädchen, das mit wehenden Röcken in Richtung See rannte.
*
Die Bewegungen der Männer waren wie eine, als sie ihre Paddel gleichmäßig durchs Wasser zogen. Die Arme nach vorn, Oberkörper nach vorn, Paddel ins Wasser, durchziehen, jede Bewegung fließend, kein Rucken, kein Stocken.
Seine Mannschaft lag um eineinhalb Bootslängen vorn, frohlockte Eugen. Das herrschaftliche Boot an erster Stelle, wie es sich gehörte. Schweiß rann ihm zwischen den Schulterblättern hinab, seine Muskeln begannen zu brennen. Er fühlte sich prächtig! Grinsend warf er den Kopf nach hinten, um die Schweißtropfen abzuschütteln, die ihm durch die Brauen in die Augen liefen, als er aus dem Augenwinkel heraus am Ufer eine aufkommende Hektik wahrnahm. Er spürte, wie sich seine rechte Schulter versteifte, als er erkannte, dass es Wera war, die zusammen mit dem Kindermädchen und einem Mann unter den Trauerweiden davonrannte. Der Bad Carlsruher Arzt. Seinem Sohn ging es doch hoffentlich nicht schlecht? Für einen kurzen Moment lief Eugen Gefahr, seinen Rhythmus zu verlieren, doch dann fing er sich wieder. Konzentration! Die Arme nach vorn, Oberkörper nach vorn, Paddel ins Wasser, durchziehen, jede Bewegung fließend, kein Rucken, kein Stocken.
Wera … Er wollte gar nicht wissen, welchen Aufruhr sie dieses Mal verursachte. Bestimmt war es nur wieder eine Mücke, aus der sie einen Elefanten machte.
*
Wera spürte einen Kloß im Hals und aufsteigende Tränen, durch den Mund atmend, kämpfte sie gegen die Panik an. Nicht weinen! Nur wenn es ihr gelang, keine Schwäche zu zeigen, nur wenn es ihr gelang, stark zu bleiben für Klein-Egi, konnte sie ihm helfen. Er brauchte jedes bisschen Hilfe, sein Körper, er war so zart, seine Haut so durchscheinend … Ihre linke Hand, mit der sie sein Köpfchen hielt, wirkte dagegen wie eine unsensible Pranke. Ihr lieber, süßer Sohn. Wach auf, mein Kind! Du darfst nicht schlafen.
»… recht ungewöhnlich, solch ein heftiger Verlauf … bin untröstlich, gnädige Frau, dass …«
»Aber warum? Ein so kleines Kind! … Fieber …«
»… Gedanken machen … Überführung …«
»Zuerst … Totenschein ausstellen … wichtig … Konsequenzen für die württembergische Thronfolge …«
Wera schloss die Augen, um die vielen Stimmen ringsum auszublenden. Warum verließen nicht alle das Zimmer? Sie wollte allein sein mit ihrem Sohn.
»Eure Hoheit …« Eine Stimme, dumpf und angestrengt. Der Arzt? War er nicht vor Stunden gegangen? In einem anderen Leben.
»Eure Hoheit, Sie sind durcheinander, das ist verständlich, aber ich muss Sie wirklich bitten, mir nun das Kind zu übergeben.«
Die Haut unter Weras rechtem Auge begann zu zucken. Warum redete er derart unsinniges Zeug? Sie war die Mutter, sie wusste am besten, was ihrem Sohn guttat.
Drei Tage würde das Fieber dauern, hatte der Arzt gesagt. Danach würde alles wieder gut werden. Drei Tage und drei Nächte …
Leise begann sie zu singen, eine Weise, die sie nicht kannte, die es nicht einmal gab, die ihr aber für diesen Moment passend erschien. Wenn ihr bloß nicht so schwindlig wäre. Warum war ihr bishernie aufgefallen, wie sehr Schloss Carlsruhe schwankte? Ob das mit den Sümpfen zu tun hatte, von denen der Arzt erzählt hatte?
Sie sang leise weiter, den Schwindel ignorierend. Drei Tage. Dann war das Fieber vorüber. Sie würde aushalten. Für Klein-Egi.
Eine Hand legte sich auf ihre rechte Schulter, rüttelte sie sacht.
»Du lieber Himmel, Wera … Du kannst doch nicht mit Klein-Egi im Arm hier sitzen bleiben …«
Eugen. Warum schluchzte er
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