Die russische Herzogin
hingegen war der Schützenkönig von Stuttgart! Er legte einen Arm um seinen Freund.
»Glaube mir, der Gedanke, dass ich den dummen Kerl unnötig verletzen muss, gefällt mir auch nicht. Aber es geht nun einmal um die Ehre, und die Spielregeln habe nicht ich festgelegt, ich muss sie allerdings respektieren. Umso dankbarer bin ich, dass du mein Sekundant bist.«
Herbert von Lauenfels nickte. »Bringen wir die Sache also standesgemäßhinter uns. Aber danach bist du mir ein reichliches Morgenmahl schuldig, mein Lieber!«
Die Wiese am Rheinufer war feucht. Jeder der dreißig Schritte, die die beiden Duellanten in entgegengesetzte Richtungen machten, blieb im feuchten Gras als deutlicher Abdruck sichtbar.
Sechzig Schritte zwischen den Duellanten.
Drei Schusswechsel.
Als Waffe: die Pistole.
Das waren die Bedingungen, die Fuzzis Sekundant überbracht hatte.
Achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig. Mit geschlossenen Augen blieb Eugen für einen kurzen Moment reglos stehen. Vor seinem inneren Auge erschien plötzlich sein Vater. Auch er war in seiner Jugend Offizier gewesen, und zwar im 1 . Westfälischen Husarenregiment Nr. 8 , welches ebenfalls hier in Düsseldorf stationiert gewesen war. Aber ob »Eugen der Gute«, wie er von seinen Untertanen genannt worden war, ein solches Duell gutgeheißen hätte? Eugen bezweifelte es.
Vater im Himmel, steh mir bei , dachte er, während er ein letztes Mal über Hahn und Abzug seiner Pistole strich. Die Waffe lag gut und sicher in seiner Hand. Wie immer.
»Friedrich, Eugen – seid ihr bereit?«
Herberts Stimme kam nur gedämpft bei Eugen an. Er holte tief Luft, drehte sich um und nickte.
»Feuer frei!«
*
»Ich habe einen seltsamen Brief von Eugen erhalten«, sagte Wera, kaum dass sie am Mittagstisch bei Olly und Karl Platz genommen hatte.
»Er schreibt, er habe Schmerzen in der Brust und könne kaum durchatmen. Und dass er mich unendlich liebe, schreibt er auch.« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.
Olly lächelte. »Eugen hat solche Sehnsucht nach dir, dass ihm dasHerz weh tut, wie romantisch! Hat Wera nicht einen ganz besonders lieben Mann?«, fragte sie in die Tischrunde, zu der außer dem Königspaar auch Evelyn, zwei weitere Ehrendamen und Wilhelm von Spitzemberg gehörten.
Die Damen lächelten höflich.
»Für mich hört es sich eher so an, als fühle sich Eugen nicht wohl. Was, wenn er ernsthaft erkrankt ist?«, erwiderte Wera stirnrunzelnd.
»Aber das hätte er dir doch geschrieben. Eugen ist niemand, der sich kompliziert ausdrückt, oder?«, erwiderte Karl. »Ich glaube, du machst dir unnötige Gedanken.« Aufmunternd tätschelte er Weras Hand, dann gab er dem Dienstmädchen ein Zeichen, seiner Adoptivtochter noch einmal Suppe nachzuschenken.
Doch Wera winkte ab, ihr war der Appetit vergangen. Seit Eugens Brief verspürte sie vielmehr ein angstvolles Ziehen im Bauch. Zu gern hätte sie geglaubt, dass ihr Mann sich aus lauter Sehnsucht nach ihr verzehrte. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Abrupt schob sie den Stuhl nach hinten und stand auf.
»Evelyn, könntest du mir rasch ein bisschen Wäsche zum Wechseln und andere Reiseutensilien einpacken? Karl, sagst du bitte einem eurer Kutscher, dass er vorfahren soll? Und Olly, wärst du so lieb und hast ein Auge auf die Kinder samt den Kindermädchen? Wenn ich mich beeile, erwische ich noch den Mittagszug nach Düsseldorf. Vielleicht haltet ihr mich für hysterisch, aber ich muss mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es Eugen gutgeht, vorher habe ich keine Ruhe. Sobald ich mehr weiß, werde ich euch dies in einem Telegramm mitteilen.«
Olly und Karl saßen gerade beim Abendessen, als ein Bote erschien und atemlos darum bat, dem König von Württemberg ein Telegramm aushändigen zu dürfen. Es kam aus Düsseldorf und war am selben Tag, dem 27 . Januar 1877 , abgesandt worden.
»Wera muss ja regelrecht geflogen sein! Früher dauerte eine Reise mit dem Zug immer eine halbe Ewigkeit, aber diese Zeiten sind scheinbarvorbei. Was schreibt sie denn?«, rief Olly. Frohgemut beugte sie sich über den Tisch zu Karl hinüber, um einen Blick auf die wenigen Zeilen erhaschen zu können.
Doch Karl hielt den Bogen Papier fest an seine Brust gedrückt. Seine Miene drückte Bestürzung aus, hilflos irrte sein Blick von einem zum anderen.
»Das … Telegramm ist nicht von Wera. Es ist vom Kommandeur des 2 . Westfälischen Husarenregiments Nr. 11 .« Karl blinzelte verwirrt.
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