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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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waren Hunger, Müdigkeit und alle anderen Befindlichkeiten.
    Eugen …
    Was war das für eine hübsche Decke, unter der er lag. Rot, mit einem prachtvollen Wappen bestickt. Eine solche Handarbeit würde sie mit ihren ungeschickten Händen nie zustande bekommen. Sein Haarschopf wirkte durch das Rot noch dunkler als sonst. Aber er war so blass.
    Eugen …
    Wera schrie leise auf. Das konnte nicht sein! Sie wurde verrückt – hier und jetzt, in diesem einsamsten aller Momente. Ihr Blick irrte in der weihrauchgeschwängerten Kapelle umher, suchte nach Schlupfwinkeln. Sie wollte sich verstecken. Oder wieder durch die Tür gehen. So tun, als wäre nichts geschehen. Aber die Welt stand still. Nichts veränderte sich. Außer dass sich der Dolch in ihrem Herzschmerzhaft herumdrehte. Tränen sammelten sich in ihren Mundwinkeln, sie wischte sie mit dem Ärmel fort. Ihr Atem klang unerträglich laut in ihren Ohren, und dann ihr Rock – warum war ihr bisher nicht aufgefallen, wie unangenehm die aufgebauschten Stoffbahnen bei jedem Schritt raschelten?
    »Eugen … bitte. Ich bin’s. Wera. Wach auf! Sag, dass du dich freust, mich zu sehen.« Sie beugte sich zu ihm, wollte ihn streicheln. Doch ihre rechte Hand gehorchte nicht, und die linke ebenfalls nicht. Jemand hatte der Marionette die Schnüre abgeschnitten, ihre Glieder wurden schlaff.
    Sie merkte nicht, wie sie den Boden berührte.
    *
    »Wir bedauern Herzog Eugens Hinscheiden außerordentlich. Worte reichen nicht aus, um Ihnen und seiner Witwe unser aller Beileid kundzutun«, sagte der Kommandeur des 2 . Westfälischen Husarenregiments am nächsten Morgen.
    Olly, von ihrer Nachtfahrt mit dem Zug völlig zerschlagen, nickte traurig. Von Wera, die neben ihr saß und deren Hand sie festhielt, kam keine Reaktion. War Eugens Tod überhaupt schon zu ihr durchgedrungen?, fragte sich Olly nicht zum ersten Mal.
    Als der Kommandeur am Vorabend in der Kapelle angekommen war, hatte er Wera neben Eugen liegend angetroffen. Weder mit guten Worten noch mit eindringlichem Flehen war es ihm gelungen, sie dazu zu bringen, die Kapelle zu verlassen. Es hatte drei Männer gebraucht, um sie fortzubringen. Der eilig hinzugerufene Regimentsarzt Dr. Schwarz hatte Wera ins Besucherappartement der Kaserne gebracht, eine klosterähnliche Zelle mit nur einem Bett und einem kleinen Schrank. Nachdem der Regimentsarzt Wera ein starkes Schlafmittel verabreicht hatte, verbrachte sie die Nacht in einem ohnmachtsähnlichen Zustand.
    Als Olly am frühen Morgen in Düsseldorf eingetroffen war, hatte man sie sofort zu Wera gebracht. Mit leerem Blick saß ihre Tochter im Bett, unfähig, auch nur die geringste Bewegung zu machen. Mühevollzog Olly Wera an, kämmte ihr die Haare und wusch ihr das Gesicht. Wera sagte kein Wort. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, allein mit den Obersten des Regiments sprechen zu können, um Einzelheiten zu erfahren, und dem Bedürfnis, Wera nicht allein zu lassen, hatte sich Olly schließlich dazu entschieden, die gramgebeugte Tochter zum Kommandeur mitzunehmen.
    Olly beugte sich dem Mann entgegen und sagte mit gesenkter Stimme: »Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns bei der Organisation der Überführung des … Leichnams helfen könnten.«
    Der Kommandeur räusperte sich. »Eure Hoheit, es gibt da ein kleines Problem …« Er warf einen kurzen Blick auf Wera, dann winkte er Olly mit einer kleinen Geste noch näher zu sich heran.
    »Der Standesbeamte weigert sich, die Sterbeurkunde auszustellen. Ohne Todesursache könne er das nicht.«
    Olly runzelte die Stirn. Wenn ihr nach einem nicht der Sinn stand, dann nach bürokratischem Theater.
    »Warum haben Sie dem Mann nicht schon längst mitgeteilt, dass mein Schwiegersohn an einer Pleuritis gestorben ist? Ich ersuche Sie dringendst, in dieser Angelegenheit keine unnötige Zeit verstreichen zu lassen. Meine Tochter und ich wollen so schnell wie möglich abreisen, denn auch in Stuttgart gibt es viel zu regeln. Außerdem möchte ich meine Tochter dringend dem königlichen Leibarzt vorstellen, Sie sehen doch selbst, in welchem Zustand sie sich befindet.«
    Der Kommandeur, ein stattlicher, honoriger Mann, rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »So einfach ist das nicht …«
    »Was heißt das nun wieder?«, fuhr Olly den Mann an. »Wagen Sie es nicht, Einzelheiten des tödlichen Krankheitsverlaufs vor meiner Tochter auszubreiten«, flüsterte sie ihm dann zu.
    »Das habe ich nicht vor«, gab der Kommandeur ebenfalls

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