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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Männer entfachten ihren eigenen Ehrgeiz – immer samstags nahm sie zusammen mit anderen Ehefrauen der Ulanenoffiziere Reitstunden in der königlichen Reithalle. Oftmals schauten die Männer zu, gaben hilfreiche Hinweise, korrigierten einen Haltungsfehler – Wera fühlte sich in der Gesellschaft der adligen sportlichen Männer und Frauen gut aufgehoben. Ihre Kinder brachte sie immer öfter zu Olly. Und so waren es Karl und sie, die miterlebten, wie die Zwillinge laufen lernten, und die ihnen zwei fast identische Schaukelpferde kauften, währendWera selbst das Reiten erlernte. Das Königspaar genoss seine Rolle als liebende Großeltern sehr, Weras Flucht in eine Welt, in der sie ihren verstorbenen Mann zu Hause glaubte, schauten sie hingegen hilflos und besorgt zu.
    Im Spätherbst übernahm Oberst Prinz Wilhelm II. sowohl das Kommando der Reiter-Brigade und der Reiter-Division als auch der 27 . Kavallerie-Brigade in Ludwigsburg. Wera saß bei der Zeremonie in der ersten Reihe und schwenkte für Wily enthusiastisch eine Fahne. Statt wie die anderen Offiziersfrauen bei der ersten Gelegenheit ins geheizte Kasino zu gehen, wo Sekt ausgeschenkt wurde, blieb sie so lange in der Eiseskälte stehen, bis ihr Gesicht von tausend Nadelstichen gepikt wurde. Genauestens ließ sie sich erklären, welche Teile des Regiments umbenannt worden waren und warum. Auch für die anstehende Bildung neuer Brigadestäbe interessierte sie sich sehr.
    Als am 19 . Dezember Wilys erste Tochter Pauline geboren wurde, schickte sie eine Karte.
    Dass Margitta, ihre Freundin aus Jugendtagen, ein drittes Kind bekommen hatte, erfuhr sie von ihrer Hofdame Clothilde, die es von der herzoglichen Weißzeugverwalterin wusste, welche wiederum mit der Oberaufseherin aus der königlichen Wäschekammer befreundet war. Das Mädchen hieß Marianne. Wera schickte auch hier eine Karte und legte einen Geldschein bei.
    Sie wusste sehr wohl, dass man mehr von ihr erwartete, nämlich Anteilnahme und Interesse. Ihr war auch klar, dass es Olly und den anderen ihr nahestehenden Menschen nicht gefiel, wenn sie mehrmals wöchentlich Eugen in der Gruft besuchte. Aus dieser Verpflichtung heraus machte sie mehr als einen Versuch, wieder in der Welt der Salons und Damenkränzchen heimisch zu werden. Doch während sich die anderen Frauen angeregt unterhielten, wurde Wera jedes Mal von einem Gefühl der Sinnlosigkeit überfallen, das sich wie eine zähe Masse über sie ergoss, sie lähmte und ihre Sinne benebelte.
    Nur wenn sie in Eugens Nähe war oder in der Nähe seiner alten Kameraden, fühlte sie sich lebendig.

33. KAPITEL
    Villa Berg, im Mai 1878
    Im Wonnemonat
    Es nicken die bunten Blumen
    Mit ihren Köpfchen mir zu,
    Es singen die Nachtigallen
    Die schönsten Lieder dazu.
    Die Flügel der Schmetterlinge,
    sie leuchten im Sonnenschein
    Und funkeln in allen Farben
    Gleich einem Edelstein.
    Sie alle fühlen die Wonne
    Des lieblichen Monats Mai,
    Der hold und herrlich nahet
    Der Winter ist vorbei …
    A ls Wera erwachte, war es noch dunkel. Trotzdem war der Park der Villa Berg schon jetzt erfüllt vom Gesang der Vögel. Eine Weile lang begnügte sie sich damit, dem einzigartigen Konzert zuzuhören. Seltsam – je heller der Tag wurde, desto ruhiger wurden die Vögel. Dass ihr dies bisher nicht aufgefallen war …
    Wieim echten Leben.
    Fünfzehn Monate und drei Tage waren seit Eugens Tod vergangen. Der große Lobgesang auf die Liebe und das Leben war vorbei, doch das Leben selbst ging weiter.
    Der Mai war immer ihr Lieblingsmonat gewesen. Wie hatte sie einst gedichtet? »Sie alle fühlen die Wonne des lieblichen Monats Mai / der Winter ist vorbei.«
    Traf das auch heute noch auf sie zu? Wera wackelte mit der rechten großen Zehe, dann mit der linken, als wollte sie sich davon überzeugen, dass sie wach war. Irgendetwas war an diesem Morgen anders. War der Umzug in die Villa Berg schuld an der stillen Zuversicht, die sie in sich aufkeimen fühlte? Seit einer Woche wohnte sie nun mit ihren Kindern hier, Tür an Tür mit Olly und Karl. Auch ein Teil ihres kleinen Hofstaats war mit umgezogen, Zimmer gab es dafür genug. Es war Ollys Idee gewesen, dass sie alle gemeinsam den Sommer in der Villa verbringen sollten. Wera hatte kurz gezögert und dann zugestimmt. Schon immer hatte sie sich in Ollys »Feensitz« ein bisschen freier und glücklicher gefühlt als anderswo.
    Lächelnd lauschte Wera dem Zwiegespräch eines Vogelpärchens, das im Weingeflecht direkt vor ihrem Fenster

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