Die russische Herzogin
bis hinter ihre Stirn kroch.
Mit angehaltenem Atem öffnete sie die Tür. Drinnen war der Gestank noch schlimmer, er rührte von den riesigen Bottichen her, in denen Wäsche in schleimig aussehenden Laugen schwamm.
Margitta stand an einem der hinteren Bottiche. Mit bloßen Händen zog sie feine Gazevorhänge durch die Lauge. Als sie Wera erblickte, riss sie ihre Augen auf, als habe sie einen Geist vor sich.
»Ich bin’s wirklich«, sagte Wera mit tränenerstickter Stimme.
Margitta …
Margitta und sie hatten in Kindertagen nie viele Zärtlichkeiten ausgetauscht. Hand in Hand laufen, Küsse auf die Wange geben, die Haare der anderen bürsten – ihnen beiden waren solche Vertrautheiten eher fremd gewesen. Doch nun wurde Wera vom Drang, die Freundin in den Arm zu nehmen und nie mehr loszulassen, fast überwältigt.
Margitta bestand nur noch aus Haut und Knochen. Und ihre Hände und Arme – Wera konnte kaum hinschauen, so schwielig und rau sah die Haut aus, an manchen Stellen schien sie sogar entzündet zu sein. Wie schmerzhaft musste es sein, mit solch offenen Wunden in die Wanne mit den aggressiven Chemikalien zu greifen.
»Schau nicht so mitleidig!«, sagte Margitta und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die humorvoll sein sollte, in Weras Augen jedoch nur tragisch wirkte.
»Warum arbeitest du nicht mehr im Schloss?«
Margitta zuckte mit den Schultern. »Es ging nicht mehr. Und du, wasführt dich hierher? Ich dachte schon, du wärst mit deinem Herzog gestorben. Tut mir leid mit deinem Mann, wirklich. Von mir aus hätt’s den meinen erwischen können, um den wär’s wenigstens nicht schade gewesen.«
Wera schüttelte den Kopf. Die alten groben Sprüche. Immerhin das hatte sich nicht geändert.
Sie lächelten sich vorsichtig an und einen Moment lang waren Raum und Zeit vergessen. Sie waren wieder die beiden kleinen Mädchen, die sich heimlich auf dem Dachboden trafen.
Wera griff nach Margittas Hand und sagte: »Wo können wir uns ein bisschen unterhalten?«
»Bist du verrückt? Der da reißt mir den Kopf ab, wenn ich einfach verschwinde!« Margitta nickte in Richtung des Geschäftsinhabers, der sie bereits mit düsteren Blicken beobachtete.
»Keine Sorge, ich kläre das«, sagte Wera, bevor Margitta etwas sagen konnte.
Es kostete Wera einige Überredungskunst, bis Margitta sie schließlich in ihre Wohnung ließ. Hätte man sie vorher gefragt, wie sie sich Margittas Domizil vorstellte, so hätte sie nur eine vage Antwort geben können: eine kleine Wohnung eben. Einfach, schlicht, aber sauber. Auf das, was sie tatsächlich erwartete, war sie jedoch nicht vorbereitet.
Die »Wohnung« bestand aus einem einzigen Raum, der unter einer Dunstglocke von schlechten Gerüchen lag. Der Gestank verdorbener Lebensmittel mischte sich mit altem Schweiß, schmutziger Wäsche und dem sauren Geruch von schimmelnden, feuchten Hauswänden. Entlang der fleckigen Rückwand standen zwei Betten, die Laken waren zerwühlt und dreckig. Vergebens schaute sich Wera nach einem Kinderwagen oder einem -bettchen um. Dann entdeckte sie zwischen den zerwühlten Laken des schmaleren Bettes ein kleines Köpfchen.
»Ist das deine Tochter Marianne?«, fragte sie mit zittriger Stimme.
Margitta nickte und hob den winzigen Säugling hoch. Wie seine Mutterschien auch er nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Er hatte große Augen und so wenig Haare auf dem Kopf, dass die nackte Kopfhaut durchschimmerte.
Hektisch rechnete Wera nach. Margittas Kind war zur selben Zeit wie Wilys Tochter auf die Welt gekommen. Also musste das Mädchen, das aussah wie ein Neugeborenes, ein halbes Jahr alt sein …
Unbeholfen stakste Wera auf den Tisch am Fenster zu, an dem nur zwei Stühle standen. Und wo saßen die Kinder?, fragte sie sich, während sie sich niederließ. Der Tisch war übersät mit schmutzigem Geschirr und einem Kanten Brot. Ein kleines Töpfchen mit Schmalz oder etwas Ähnlichem stand auch da – mehr war an Lebensmitteln nicht zu sehen. Eine Spüle oder einen Herd suchte Wera ebenfalls vergebens, dafür huschte eine Maus an der Wand entlang. Gab es eine Gemeinschaftsküche hier im Haus, für alle Mieter?
»Was ist hier los?«, fragte sie tonlos, während sich Margitta auf den zweiten Stuhl setzte und eine magere Brust entblößte, um Marianne zu stillen.
»Was soll schon los sein? Das ist mein Leben. Ich habe nun einmal keine Dienstmädchen, die hinter mir herräumen und alles hübsch sauber halten. Und mein Kindermädchen hat
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