Die russische Herzogin
wirklich nichts geändert?, fragte sich Wera dumpf.
Nach einem langen Moment des Schweigens sagte Olly: »Ob du es glaubst oder nicht, ich habe wirklich vor einigen Jahren deinen Gedanken eines Mutter-Kind-Heimes aufgegriffen. Aber ganz gleich, wo ich dafür warb – überall bin ich auf taube Ohren gestoßen. Die feinen Damen der Gesellschaft sind zwar sehr aufgeschlossen, wenn es darum geht, armen Kinderseelen zu helfen. Aber dasselbe für deren Mütter zu tun, widerstrebt ihnen aufs äußerste. Irgendwann fing ich an, nicht mehr von einem Mutter-Kind-Heim zu sprechen, sondern von einem Hilfsverein für hilfsbedürftige Familien. Aber auch davon mochten sie nichts hören.«
Wera wollte etwas erwidern, doch Olly legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Lass mich wenigstens versuchen, dir das zu erklären. Glaube mir, auch ich war wütend ob dieses Widerstands. Aber irgendwann wurde mir klar, dass es den wohltätigen Spenderinnen in dieser Hinsicht schlichtweg an Weitsicht fehlt.«
»Tut mir leid, aber das verstehe ich immer noch nicht«, erwiderte Wera kopfschüttelnd.
»All die reichen Gräfinnen, die Freiherren von und zu irgendwas, die Prinzessinnen und landadligen Fürsten, all die wohlhabenden Fabrikanten und Doktoren – sie können sich einfach nicht vorstellen, wie das Leben einer Frau wie Margitta aussieht. Dass es nicht deren Schuld ist, wenn alles aus den Fugen gerät, sondern dass es die Umstände sind, die zu immer schlimmeren Umständen führen. In den Augen meiner edlen Spender sind Mütter, die sich nicht ordentlich um ihre Kinder kümmern, schlecht und verabscheuungswürdig. Und wenn der Mann davonläuft oder seinen Lohn im Wirtshaus liegenlässt, statt Essen für die Kinder zu kaufen, dann kann das nur daran liegen, dass die Frau keine gute Ehefrau war. Keine einzige Mark würden sie für solche … Weibsbilder hergeben.«Olly imitierte den angewiderten Tonfall ihrer Gesprächspartner allzu perfekt. Seufzend fügte sie hinzu: »Wir müssen uns für Margitta etwas anderes einfallen lassen.«
Wera nickte. Dennoch … Herausfordernd schaute sie ihre Mutter an.
»Brauchen wir all die Herren Landadligen und Frau Doktoren überhaupt? Du bist die Königin von Württemberg. Und reich! Ich habe bei meiner Hochzeit auch eine ordentliche Mitgift bekommen. Wenn du mir hilfst, solch ein Heim aufzubauen, zahle ich dafür, versprochen.« Ehrlich gesagt, hatte sie nur eine schwache Ahnung, wie es um ihre Finanzen bestellt war, doch sie nahm an, dass Hofrat Carl Schumacher, der mit der Verwaltung ihrer Gelder betraut war, seine Aufgabe bestens erfüllte.
Olly lachte auf. »Weißt du, von welchen Geldern wir hier reden? Solch ein Unterfangen verschlingt Unsummen! Angefangen beim Gebäude und seinen Einrichtungen bis hin zu den Kosten für den Unterhalt. Dazu kommen die Gehälter der Betreuer, und essen müssen die Menschen auch alle. Kleider brauchen sie, Tisch- und Bettwäsche, dann noch die Arztkosten und – ach, die Liste der Kosten ist ellenlang. Ich habe mich noch nie gescheut, eigene Gelder zuzuschießen. Wenn es sein musste, habe ich sogar die eine oder andere wertvolle Brosche und Perlenkette verkauft, aber –«
»Du hast was?«, unterbrach Wera ihre Mutter fassungslos.
Olly grinste. »Inkognito, damit mich niemand erkennt. Ich bin immer zu einem Juwelier nach Karlsruhe gereist. Im Nachhinein glaube ich zwar, dass der Mann genau wusste, wen er vor sich hatte, aber er hat mir stets versichert, dass ihm Diskretion über alles ginge. Und er hat gut gezahlt für die Schätze aus dem Zarenreich! Ich wiederum war froh, Geld für meine Waisenkinder und die Blinden loseisen zu können.«
Wera schüttelte beschämt den Kopf. Immer hatte Olly das Wohl der anderen im Sinn und viel zu selten ihr eigenes, im Gegensatz zu ihr.
»Wehe, du sagst auch nur ein Wort zu Karl«, sagte Olly und drohte mit dem Zeigefinger. »Doch zurück zu deinem Traum von einemMutter-Kind-Heim – ich sage dir, ohne finanzielle Unterstützung kann solch ein Unternehmen einfach nicht gelingen.«
»Und wenn wir eine große Aktion starten, um Gelder aufzutreiben? Ich könnte den Leuten genauestens erklären, warum solch ein Heim dringend benötigt wird.«
Noch während sie sprach, wurde Wera bewusst, wie wenig sie von der wohltätigen Arbeit im Grunde wusste. Sie hatte Olga zwar von Kindesbeinen an immer wieder begleitet, wenn diese ihre wohltätigen Einrichtungen besuchte, aber wie man an all die benötigten Gelder kam – davon
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