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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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und ich wollten uns eigentlich nur ein paar Minuten lang in Ruhe unterhalten. Und da wir gerade hier in der Nähe waren, dachte ich –« Sie machte eine vage Handbewegung.
    Der Oberbaurat, dem die Spannungen zwischen Olly und dem ehemaligen Sekretär ihres Mannes nicht entgangen waren, nickte eilfertig. »Auch wenn die Kirche derzeit nicht geweiht ist, so schwingt doch ein besonderer Geist darin. Wenn ich die Empore vorschlagen dürfte? Dort ist es wärmer als hier unten, und Ruhe haben Sie da auch. Ich werde meine Männer anweisen, eine Pause einzulegen.«
    Olly stieg die Treppe hoch, und Wera folgte ihr neugierig. Eine Kirche, in der Männer mit Zollstock und Bauplänen zugange waren, schien ihr keine Angst zu machen.
    Es war nicht so, dass Wera ihr Herz weit öffnete und eine Flut angestauter Erinnerungen aus ihr herausfloss. Eigentlich könne sie sichan gar nichts mehr erinnern, murmelte sie muffelig, als Olly sie nach ihren Erlebnissen in Warschau fragte. Nur daran, dass es schrecklich heiß gewesen sei. Und an die lauten Stimmen der bösen Männer, an die könne sie sich auch noch erinnern. Von jetzt auf gleich seien sie in den Palast gestürmt. Polnisch hatten sie gesprochen, kein Russisch oder Französisch. Aber eigentlich wollte sie an diesen Tag gar nicht mehr denken.
    »Das kann ich gut verstehen«, sagte Olly und erzählte Wera, dass sie einst als dreijähriges Mädchen auch ein Attentat auf ihren Vater, den Zaren Nikolaus, hatte miterleben müssen.
    »Seltsam, ich habe Jahrzehnte nicht mehr daran gedacht. Stattdessen habe ich die Erinnerung in die tiefste Ecke meiner Seele verbannt. So wie man etwas, das man nicht mehr vor Augen haben möchte, in den hintersten Keller räumt.«
    Mit gerunzelter Stirn schaute Wera ihre Tante an. »Hattest du damals auch Angst?«
    »Angst? Und ob. Ich bin fast gestorben vor Angst, sogar in die Hose habe ich mir gemacht! Alexander und Mary haben mich ausgelacht, daran kann ich mich noch gut erinnern. Nein, dein Vater nicht, der war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf der Welt. Doch dann hat mein Vater mich auf den Arm genommen und meine Geschwister wegen ihres Spotts gerügt. Wir Romanows müssen in jeder Lebenslage zusammenhalten!, hat er gesagt und gemeint, dass wir unter Gottes besonderem Schutz stünden und uns nichts passieren kann.« Olly lächelte. »Da war meine Angst wie verflogen. Bestimmt hat euer Papa euch auch getröstet, nicht wahr?«
    Wera schüttelte den Kopf. »Als die Männer endlich wieder fort waren, sind er und Maman gleich ins Nebenzimmer gegangen. Hinter der Tür habe ich sie streiten hören. Das käme davon, dass sich Papa von seinem Bruder so herumkommandieren ließe, hat Maman geschrien. Und dass sie von Anfang an dagegen gewesen wäre, nach Warschau zu gehen. Sie fand es unmöglich, dass Papa uns solchen Gefahren aussetzte. Er schrie zurück, dass er so etwas nicht habe voraussehen können. Dann kam er wieder heraus, das Blut tropfte noch immer von seinem Arm. Ich wollte ihm helfen, dieWunden zu verbinden. Nikolai auch, aber er hat uns einfach stehenlassen …«
    Ach Kosty, dachte Olly traurig. »Diese Zeiten sind ja nun vorüber«, sagte sie betont fröhlich. »Und wie du siehst, sind Stuttgarter Kirchen alles andere als Horte des Aufstands!«
    Zum ersten Mal, seit sie die Kirche betreten hatten, schaute sich Wera um. Ihre Augen blieben am gewölbten Kirchenhimmel hängen, der über und über mit Wappen, Stuck und Schmucksteinen verziert war. »Wie der Himmel in einem Zauberland.« Sie blinzelte, schaute sich weiter um. »Hier ist es so schön friedlich«, sagte sie. »Wenn ich daran denke, was für einen Aufstand ich gemacht habe, komme ich mir ziemlich kindisch vor.«
    »Blödsinn«, winkte Olly eilig ab. »Erstens bist du ein Kind und darfst ein wenig kindisch sein. Und nach deinen schrecklichen Erlebnissen in Warschau –« Olly wurde durch Weras stürmische Umarmung unterbrochen.
    »Danke, liebe Tante, dass du mich hergeführt hast. Eines weiß ich jetzt: Wenn ich einmal heirate, dann hier! Ich werde ein schwanenfedernweißes Kleid tragen, und Eugen von Montenegro wird mein Trauzeuge sein.«
    Olly schmunzelte. »Aber dies ist eine evangelische Kirche, keine unseres Glaubens. Außerdem – woher weißt du, ob dein russischer Gemahl gewillt ist, zum Heiraten nach Stuttgart zu kommen?«
    Wera zuckte mit den Schultern. »Und wenn ich gar keinen Russen heirate, sondern einen Württemberger?«
    »Du kleiner Naseweis! Jetzt fehlt nur noch,

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