Die russische Herzogin
dass du schon einen Bestimmten im Sinn hast.«
Wera erwiderte gedehnt: »Wer weiß …?«, und sprang lachend davon.
Olly eilte ihr nach. Danke, lieber Gott, frohlockte sie und hätte vor Freude singen mögen. Zum ersten Mal seit Weras Ankunft hatte sie das Gefühl, dem Kind nähergekommen zu sein. Vielleicht würden sie doch noch wie Mutter und Tochter werden? Oder zumindest so etwas wie Freundinnen.
*
WerasLaune war so gut wie lange nicht mehr. Inzwischen war sie einigermaßen davon überzeugt, dass Stuttgart ein ungefährliches Pflaster war. In anderen Städten mochten die Kirchen voll böser Männer sein, hier jedoch nicht. Hatte Margitta also recht gehabt. Vielleicht würde sie in die Wäscherei gehen und ihr das sagen.
Voller Neugier schaute sie aus dem Kutschenfenster. Eigentlich waren die vielen Plätze und Parkanlagen ganz hübsch, da konnte sie ihren Onkel ruhig einmal auf einen seiner Spaziergänge begleiten.
»Dieses Kinderheim, in das wir fahren – woher kennst du es eigentlich?«
»Das ist ganz einfach – ich habe es ins Leben gerufen«, sagte Olly. »Dieses und etliche andere auch. Dass es im beschaulichen Württemberg viele bedauernswerte Menschen gibt, habe ich bald nach meiner Ankunft hier erfahren müssen. Die wenigsten haben ein so schönes Leben wie wir, viele kämpfen tagtäglich ums bittere Überleben. Sie sind krank, haben keine Arbeit, dafür aber viele Kinder, die sie satt bekommen müssen. Die Wohnsituation ist katastrophal und –« Olly winkte ab. »Lassen wir das, ich will dich nicht mit solchen Trauerreden belasten.«
Wera, der tatsächlich ein wenig flau geworden war, fragte vorsichtig: »Und du machst das Leben für die Armen schöner?«
Olly zuckte mit den Schultern. »Ich versuche es zumindest. Ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, warme Kleidung – für viele ist das schon der Himmel auf Erden. Wenn ich sehe, wie dankbar die Leute sind, entschädigt mich das für alle Mühsal, und mühsam ist das Ganze in der Tat. Immerhin stehe ich inzwischen fünfundzwanzig Institutionen vor. Manchmal kann ich es selbst nicht glauben, aber irgendwie kam eins zum anderen.«
Wera runzelte die Stirn. »Institutionen vorstehen – das verstehe ich nicht.«
»Das heißt, dass ich mich kümmere. Ich sehe nach dem Rechten, ich sorge dafür, dass die Häuser gut geführt werden, dass genügend Geld da ist, um das Personal und die benötigten Waren zu bezahlen.« Sie zuckte mit den Schultern in einer Art, die besagte: Einer muss es ja machen.
»Deshalbbist du ständig unterwegs! Mit all den Kontrollen hast du ziemlich viel Arbeit, nicht wahr?«
»Arbeit, die ich gern mache. Schon als junge Frau war es mein größter Wunsch, etwas für die Armen zu tun. Zum Glück habe ich Karl kennengelernt. Er ist damit einverstanden, dass ich einen Großteil meines Geldes für wohltätige Zwecke ausgebe.« Einen Moment lang wurden Ollys Gesichtszüge weich. »Ja, es ist nicht alles schlecht«, murmelte sie leise vor sich hin.
»Du hast eigenes Geld? Dann bist du ja doch reich!«, platzte Wera heraus.
Olly hob fragend die Brauen. »Nun, als arm würde ich mich auch nicht bezeichnen, aber meine Gelder allein würden bei weitem nicht ausreichen für das, was es in Württemberg zu bewältigen gilt. Von daher gehört es zu meinen wichtigsten Aufgaben, dafür zu sorgen, dass durch Spenden stetig neues Geld nachfließt. Wie ich diese Bettelei hasse! Die Menschen sind so schrecklich kurzsichtig, sie erkennen einfach nicht, dass ihr Geld viel besser in Wohltätigkeiten angelegt wäre als in einem weiteren unnützen Landhaus. Oder im zehnten Paar goldener Kerzenleuchter. Und was den König angeht … Wenn ich versuche, ihm zu erklären, dass ein Dach überm Kopf für die Armen wichtiger ist als die Renovierung einer Kirche, hört er mir nicht einmal zu. Weil ich bloß eine dumme Frau bin. Ach, manchmal habe ich alles wirklich satt!« Olly klang ungewohnt bitter.
Wera schaute betreten zu Boden. Dass ihr niemand zuhören wollte – diesen Zustand kannte sie aus eigener Erfahrung nur zu gut. Schrecklich war das.
Nun verstand sie auch, warum es so wenig Gold in Tante Ollys Haus gab. Und sie hatte den Lebensstil ihrer Tante für ärmlich gehalten … Ihre Hand glitt in die Rocktasche, und nach einigem Wühlen zog sie ihr perlenbesticktes kleines Portemonnaie hervor.
»Maman hat mir vor meiner Abreise ein paar Silbermünzen in die Hand gedrückt. Da, für die Kinder! Und falls sie Hunger haben …«
Weitere Kostenlose Bücher