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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gestorben war, immer noch, hatte Olly traurig gesagt, während sie Weras seidene Bettdecke glattstrich.
    »Ohne sie wäre ich wohl immer ein schüchterner und in sich gefangener Mensch geblieben.«
    »Du und schüchtern?«
    »Und nicht nur das«, gab Olly lachend zurück. »Ich war ein richtiger Stockfisch, habe kaum ein Wort herausgebracht. Umso mehr bewunderte ich meine ältere Schwester Mary. Sie war nicht nur schön, sondern auch weltgewandt, ihr lagen die jungen Männer zu Füßen. Mich haben sie nicht einmal angesehen. Erst durch Anna lernte ich, dass auch ich etwas wert bin und ich es nicht nötig habe, Mary zu beneiden. Nach und nach taute ich auch in Gesellschaft anderer auf …« Olly schmunzelte.
    Wera hatte Mühe, all das zu glauben. Das hörte sich ja fast an wie bei Olgata und ihr!
    »Und hat deine Anna dich etwa auch stundenlang niederknien lassen?«
    »Niederknien? Nein.« Olly runzelte die Stirn. »Anna hatte ihre eigenen Methoden. Einmal ist sie mitten im Winter mit mir hinaus aufs Land gefahren, um – nun, genug für heute.«
    Andieser Stelle hatte Olly resolut abgewinkt – wie so oft, wenn es spannend wurde. Ein nach Parfüm duftender Gutenachtkuss folgte, und kaum war Olly aus dem Zimmer geschwebt, hatte Wera die Bettdecke weggeschoben und sich in dicken Socken hinauf zum Dachboden geschlichen, wo Margitta schon auf sie wartete.
    »Eins versprech ich dir – von Helene Trupow lasse ich mich nicht unterkriegen«, sagte Wera so inbrünstig, dass Margitta endlich von ihrem Buch aufschaute. »Bald holen mich sowieso meine Eltern ab, dann kann die Trupow mir gestohlen bleiben!«
    »Ist das nun ein M oder ein N? Und wie heißt dieses Wort da, es ist so schrecklich lang«, sagte Margitta und zeigte auf die Überschrift eines Märchens.
    Vergessen waren die Ärgernisse des Tages. Die beiden Mädchen vertieften sich in ihre »Deutschstunde«.
    Hätte Olly das Zusammenleben mit Wera in den darauffolgenden Wochen beschreiben müssen, so hätte sie es als ewiges Auf und Ab bezeichnet. Sowohl Karl als auch Evelyn rieten ihr, sich aus Weras Erziehung weitgehend herauszuhalten – und schweren Herzens hielt sie sich daran. Die Gouvernante erschien äußerst ambitioniert und fähig, zumindest bekam Olly von ihr nie Klagen über Wera zu hören. Von daher war es sicher klug, sie erst einmal in Ruhe arbeiten zu lassen und sich nicht ständig einzumischen.
    Die alte Kammerfrau Öchsele hingegen klagte Olly bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihr Leid.
    »Das Kind ist so unachtsam mit seinen Sachen! Erst gestern hat es wieder einen Kamm zerbrochen, bald muss ich sie im Dutzend kaufen. Und ständig verliert Wera ihre Haarbänder. Ihre Rocksäume lösen sich schneller auf, als ich sie umnähen kann. Und als ich sie gestern baden wollte, hat sie nach mir geschlagen! Bei aller Liebe, verehrte Kronprinzessin, das geht über meine Kräfte. Noch nie in meinem Leben litt ich unter Kopfschmerzen, nun werde ich tagtäglich davon geplagt.«
    Kopfweh? Davon konnte Olly selbst ein Lied singen. Fahrig rieb sie sich die schmerzende Stirn. Als die Kammerfrau in ihrem Kabinetterschienen war, hatte sie gerade die Feder in die Tinte getaucht, um ihre Korrespondenz auf den neuesten Stand zu bringen – Unterbrechungen dieser Art schätzte sie nicht. Wütend funkelte sie die alte Frau an. Inzwischen wunderte es sie überhaupt nicht mehr, dass sich ihre Tante Helene so großzügig von ihrer Bediensteten getrennt hatte. Von wegen »zum Wohle Weras«! Helene war sicher überglücklich, die alte Nörglerin los zu sein.
    »Wera ist eben ein lebhaftes Mädchen. Entweder Sie kommen mit ihr zurecht, oder Sie müssen den Hof verlassen«, sagte sie barsch, woraufhin die Kammerfrau schluchzend davonrannte.
    *
    »Was war das nun wieder?« Verwundert schaute Evelyn Weras Kammerfrau nach.
    Olly winkte ab. »Ich habe ihr lediglich gesagt, dass ich ihr ewiges Gejammer nicht mehr hören kann. Im Gegensatz zu Madame Trupow kommt die Öchsele gar nicht gut mit Wera zurecht. Apropos, wolltest du nicht ein paar Unterrichtsstunden beiwohnen? Welchen Eindruck hast du denn von Madame Trupows Erziehungsmethoden?«
    Evelyn begann in so neutralem Ton wie möglich von dem Benimm-Unterricht zu erzählen, den sie auf Ollys Geheiß hin beobachtet hatte.
    »Zugegeben, Madame Trupow ist sehr streng, aber vielleicht braucht Wera das. Über eine Stunde saß sie ohne ihr übliches Zappeln da und übte das Schönschreiben. Einmal bat sie darum, auf die Toilette

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