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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gehen zu dürfen. Sie hätten sehen müssen, wie sittsam sie den Raum verlassen hat. Und gleich darauf kam sie zurück, um ihre Schreibarbeit erneut aufzunehmen.«
    »Und warum verhält sie sich dann außerhalb der Unterrichtsstunden nicht genauso brav?«, sagte Olly. »Mir kommt das seltsam vor. Vielleicht sollte ich mir Madame Trupows Unterricht selbst einmal genauer anschauen.«
    Die Hofdame seufzte. Eigentlich hatte sie mit der Kronprinzessindie Korrespondenz des Tages durchgehen wollen. Stattdessen waren sie wie so oft beim Thema Wera gelandet.
    »Da wir gerade davon sprechen – es gibt noch etwas, das Sie über Wera wissen sollten«, sagte sie gequält. Allmählich konnte sie den Namen schon nicht mehr hören! »Als Prinz Wily vor ein paar Tagen zu einer Spielstunde hier war, hat es eine wilde Rauferei gegeben.«
    »Wily hat Wera geschlagen? Der brave Wily?«
    Evelyn verneinte. Warum musste eigentlich immer sie die schlechten Nachrichten überbringen? Cäsar Graf von Beroldingen hätte diese Aufgabe genauso gut erledigen können, er war schließlich ebenfalls dabei gewesen! Auch die anderen Hofdamen hatten geschwiegen. Aber wurde davon etwas besser?
    »Wera war die Angreiferin, Prinz Wily hatte alle Mühe, sich zu wehren. Wera war wie von Sinnen. Mir kam es vor, als wohnte ich einem Vulkanausbruch bei! Eine glückliche Fügung wollte es, dass Graf Cäsar in der Nähe war. Gemeinsam konnten wir Wera zur Räson bringen.«
    Olly seufzte. »Warum muss eigentlich auf jede kleine gute Nachricht Wera betreffend eine schlechte folgen?«
    »Wer spricht von einer ?« Evelyn lachte freudlos auf. »Da ist noch etwas: Wera ist gestern wieder drüben gewesen.«
    »Wera war im Schloss? Aber ich dachte … Das habe ich ihr doch explizit verboten!« Nun verstand Olly gar nichts mehr – hatte nicht die Gouvernante den ganzen Tag über die Aufsicht zu wahren?
    »Madame Trupow speiste gerade zu Mittag«, erklärte Evelyn, die in Ollys Miene wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen konnte. »Wera hatte keinen Appetit, sie bat darum, in ihr Zimmer gehen zu dürfen. Doch statt zu ruhen, hat sie unbemerkt das Kronprinzenpalais verlassen und ist hinüber ins Schloss gerannt.« Wenn es nach Evelyn gegangen wäre, hätte Wera für all diese Unfolgsamkeiten längst ein paar Ohrfeigen kassiert, aber die Kronprinzessin stöhnte nur und murmelte: »Sag nicht, sie hat schon wieder meinen Schwiegervater besucht.«
    »O doch, und scheinbar haben sie sich blendend unterhalten«, erwiderte Evelyn ironisch.
    Ollyschüttelte den Kopf. »Ich frage mich wirklich, was sie an dem mürrischen alten Despoten so interessant findet …«
    Das fragte sich Evelyn auch. Tief Luft holend, zeigte sie auf den dicken Stapel Briefe.
    »Wenigstens bringt die Post uns heute keine weiteren schlechten Nachrichten. Es ist jedenfalls kein Brief aus St. Petersburg dabei …«
    Sofort entspannten sich Ollys Gesichtszüge ein wenig.
    Inzwischen waren Briefe aus St. Petersburg eher gefürchtet als erwünscht. Denn statt ihren Besuch in Stuttgart anzukündigen, schrieben Weras Eltern vor allem sehr ausführlich über die neuesten Veränderungen bei Olgata. Weras ältere Schwester entwickele sich prächtig und glänze außerordentlich – dass sie noch eine zweite Tochter hatten, schienen Kosty und Sanny vergessen zu haben. Wenn ein solcher Brief Stuttgart erreichte, war Wera stets unausstehlich.
    »Stattdessen gibt es sogar gute Neuigkeiten, schauen Sie, hier: Die Königin der Niederlande hat sich zu einem Besuch im Frühjahr angemeldet«, fuhr Evelyn fort.
    »Sophie kommt? Das ist schön …« Wie erwartet heiterte die Nachricht vom Besuch von Karls älterer Schwester die Kronprinzessin ein wenig auf. Im Gegensatz zu Marie und Katharina hatte Olly zu Sophie ein warmes, fast inniges Verhältnis – beide Frauen schätzten die wenigen kostbaren Stunden, in denen sie sich gegenseitig ihr Herz ausschütten konnten, sehr.
    »Sie sind mit Ihrer Korrespondenz noch nicht fertig?« Stirnrunzelnd wies Evelyn auf Ollys Schreibtisch. Es kam selten vor, dass die Kronprinzessin nachlässig war, ganz im Gegenteil, normalerweise bewältigte Olly ein enormes Arbeitspensum.
    »Ich helfe Ihnen gern.« Noch während sie sprach, nahm Evelyn den ersten Brief in die Hand. Eine Anfrage aus Reutlingen, die Kronprinzessin sollte der Eröffnung eines neuen Knabengymnasiums beiwohnen. Als ob wir nicht genug eigenes Programm haben, dachte Evelyn bei sich, während sie eine höfliche Absage

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